Neue Sachlichkeit: Was du über die Literatur der Weimarer Republik wissen musst (1918–1933)
Die Neue Sachlichkeit thematisierte die Missstände in der Weimarer Republik, etwa die Armut wegen der hohen Inflation. | Foto: Reidecki/Getty Images
Die Neue Sachlichkeit in der Literatur
Der Begriff "Neue Sachlichkeit" bezeichnet eine Strömung zur Zeit der Weimarer Republik (1918–1933) und ist eine Reaktion auf den Expressionismus. Ihr Hauptmerkmal ist eine sachliche Betrachtung der politischen und gesellschaftlichen Situation.
In Deutschland ist dieser Stil eng mit dem Aufstieg und Niedergang der Weimarer Republik verbunden. Mit Hitlers Machtergreifung im Jahr 1933 wird die Neue Sachlichkeit von der pathetisch-ideologischen Literatur der Nationalsozialisten abgelöst, viele Schriften und Werke von Autoren und Autorinnen der Neuen Sachlichkeit werden verbrannt. Vor allem die Autoren und Autorinnen, die ins Exil flüchten, halten an der Neuen Sachlichkeit fest, sodass ihre Merkmale auch die deutsche Literaturepoche der Exilliteratur (1933–1945) prägen.
Inhaltsverzeichnis:
"Nichts ist verblüffender als die einfache Wahrheit, nichts ist exotischer als unsere Umwelt, nichts ist fantasievoller als die Sachlichkeit. Und nichts Sensationelleres in der Welt gibt es, als die Zeit, in der man lebt." (Vorwort aus: Der rasende Reporter von Egon Erwin Kisch, 1925.)
Auf einen Blick: Neue Sachlichkeit
- Zeitraum: 1918–1933
- Einordnung: folgt auf den Expressionismus
- bedeutende Ereignisse: Weimarer Republik und Folgen des Ersten Weltkriegs
- Merkmale: nüchtern und distanziert
- Literatur: bevorzugt Lyrik
- Vertreter /-innen: Bertolt Brecht, Erich Kästner
Tipp
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Neue Sachlichkeit: Definition
Die Neue Sachlichkeit kannst du als Rückbesinnung auf die Welt des Sichtbaren verstehen. Das bedeutet, dass sich die Epoche der Neuen Sachlichkeit nicht wie andere Epochen (etwa die Romantik oder der Sturm und Drang) in Traum- oder Gefühlswelten flüchtete, sondern ein beobachtendes Bild von der gesellschaftlichen und politischen Situation zeichnete. Die Neue Sachlichkeit war eine der führenden Kunstrichtungen der Weimarer Republik.
Zeitgeschichtliche Einordnung
Am 9. November 1918 wurde mit der Weimarer Republik die erste deutsche Demokratie ausgerufen. Doch die junge Republik war von Anfang an sehr instabil. Die Folgen des Ersten Weltkrieges (1914–1918) machten sich bemerkbar: Hunger, Wohnungsnot, eine hohe Arbeitslosigkeit und Krankheiten bestimmten den Alltag der Bevölkerung. Viele der verkrüppelten Kriegsheimkehrer mussten betteln. Wie schon zu Kriegszeiten, so wurden Lebensmittel nach wie vor rationalisiert, das heißt, die Menschen mussten weiter Lebensmittelmarken einlösen und lange Schlangestehen, um überhaupt Essen zu bekommen. Die Inflation trieb die Preise für Nahrungsmittel so weit in die Höhe, dass sich kaum eine Familie noch Eier, Milch, Gemüse oder Fleisch leisten konnte. Täglich verhungerten hunderte Menschen.
Die im Versailler Vertrag von 1919 festgelegten Reparationszahlungen, die Deutschland als Kriegsverlierer an die anderen Länder zahlen musste, belasteten die Republik zusätzlich – und stärkten die Gegner der Weimarer Republik. Denn eine grundlegende Demokratisierung hat es nicht gegeben. Viele Angestellte im Staatsdienst sowie große Teile der Bevölkerung wollten die Monarchie zurück. Rechte und linke Extremisten stachelten immer wieder Aufstände an. Erst 1924 begann eine kurze Phase der Stabilität. Sie hielt bis 1929 an und umfasst das, was als die Goldenen Zwanziger bezeichnet wird. In dieser kulturell sehr lebhaften Zeit entwickelte sich auch die Neue Sachlichkeit sehr stark. Doch bereits 1929 stürzte die Weltwirtschaftskrise die Weimarer Republik in eine erneute Krise. Von dieser erholte sie sich nicht mehr. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 besiegelte das Ende der Weimarer Republik.
Merkmale der Neuen Sachlichkeit
Die Autoren und Autorinnen der Neuen Sachlichkeit stellten sich gegen einen poetischen Erzählstil und verwendeten eine sehr sachliche Ausdrucksweise. Sie verzichteten auf ausschmückende Stilmittel und subjektive Gefühle wie Trauer oder Liebe. Ihnen ging es um eine objektive und wahrheitsgemäße Darstellung der Realität aus der Perspektive eines Beobachters. Somit sind folgende Merkmale typisch für die Literatur der Neuen Sachlichkeit:
- eine nüchterne, realitätsbezogene sowie leicht verständliche Alltagssprache
- eine reduzierte und präzise Ausdrucksweise
- wenig Spielraum für Interpretationen
- Die handelnden Figuren zeigen keine Gefühle.
- eine distanzierte, beobachtende Haltung
Die Texte der Neuen Sachlichkeit orientierten sich an einer journalistischen Schreibweise und wurden im Stil einer dokumentarischen Reportage geschrieben. Häufig verwendeten die Literaten und Literatinnen die Technik der Montage: Sie bauten Zeitungsartikel, Textstellen anderer Werke und Lieder oder Alltagsdokumente in ihre Handlungen ein. So sollte die Abbildung der Realität noch wirklichkeitsnäher wirken.
Ein Beispiel, an denen du die Merkmale der Neuen Sachlichkeit sehr gut nachvollziehen kannst, ist das Gedicht "Ideal und Wirklichkeit" von Kurt Tucholsky aus dem Jahr 1929:
In stiller Nacht und monogamen Betten
denkst du dir aus, was dir am Leben fehlt.
Die Nerven knistern. Wenn wir das doch hätten,
was uns, weil es nicht da ist, leise quält.
Du präparierst dir im Gedankengange
das, was du willst – und nachher kriegst dus nie...
Man möchte immer eine große Lange,
und dann bekommt man eine kleine Dicke –
C'est la vie –!
Hier fällt die präzise Sprache auf: Tucholsky verzichtet auf ausschmückende, bildhafte rhetorische Mittel wie Metaphern oder Personifikationen und verwendet stattdessen eine nüchterne Sprache, bei der du sofort verstehst, worum es geht. Außerdem nimmt der lyrische Sprecher eine beobachtende Haltung ein: Er beobachtet eine alltägliche Situation und kommentiert diese. Emotionen oder einen großen Interpretationsspielraum gibt es nicht.
Weitere Literaturepochen
- Barock (1600–1750)
- Aufklärung (1720–1800)
- Empfindsamkeit (1740–1790)
- Sturm und Drang (1765–1790)
- Weimarer Klassik (1786–1831)
- Romantik (1795–1835)
- Biedermeier (1815–1848)
- Vormärz (1815–1848)
- Junges Deutschland (1830–1835)
- Realismus (1848–1890)
- Naturalismus (1880–1900)
- Moderne (1880–1920)
- Impressionismus (1890–1920)
- Symbolismus (1890–1920)
- Expressionismus (1905–1925)
- Exilliteratur (1933–1945)
- Trümmerliteratur (1945–1950)
- Nachkriegsliteratur (1945–1990)
- Neue Subjektivität (1970er Jahre)
- Postmoderne Literatur (ca. 1989–2011)
- Gegenwartsliteratur (ab 1990)
Themen der neuen Sachlichkeit
Der sachliche, aufs Nötigste reduzierte Stil der Neuen Sachlichkeit war nicht nur ein Bruch mit bisherigen literarischen Konventionen sowie eine Abkehr von der starken Subjektivität des Expressionismus. Die Schriftsteller und Schriftstellerinnen der Neuen Sachlichkeit wollten mit diesem Stil möglichst viele Menschen erreichen, denn durch das Aufkommen von Massenmedien hatte erstmals eine breite Masse Zugang zu Kultur. Ein weiteres Ziel war die verständliche Aufbereitung der sozialen und wirtschaftlichen Probleme dieser Zeit. Der dokumentarische, beobachtende Charakter der Werke sollte die Sichtweise der Leserinnen und Leser auf die politischen Ereignisse verändern und zu einem besseren Verständnis von historischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen führen.
Thematisch behandelte die Neue Sachlichkeit die Probleme der Zeit:
- die Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges
- die gesellschaftlichen und technischen Veränderungen
- die sozialen Probleme in der Weimarer Republik (Hunger, Armut, Arbeitslosigkeit)
Die Literatur der neuen Sachlichkeit
Die Neuen Sachlichkeit umfasste alle literarischen Gattungen. Ob es sich um einen epischen, einen lyrischen oder einen dramatischen Text handelt – immer stand die objektive und möglichst genaue Wiedergabe der Realität im Vordergrund. So sollten die Menschen die gesellschaftlichen Missstände wahrnehmen und für die Demokratie begeistert werden.
Epik
Die beliebteste Form der Prosa war der Zeitroman. Er lieferte den Leserinnen und Lesern umfassende Informationen über die Zeit, von der er handelt, und thematisierte die Geschehnisse des Ersten Weltkrieges, das Ende der Monarchie in Deutschland und Österreich (denn auch die kaiserlich und königliche Doppelmonarchie Österreich-Ungarn endete nach dem Ersten Weltkrieg) sowie das Alltagsleben. Ein bekanntes Beispiel für einen Zeitroman ist "Im Westen nichts Neues" von Erich Maria Remarque (1898–1970) aus dem Jahr 1929.
Weitere häufig verwendeten literarischen Formen waren Dokumentationen, Sachberichte und Reportagen. Sie schilderten Fakten sachlich und in einfacher Sprache, sodass jeder den Inhalt verstehen konnte. Auch die beschriebenen Lebensumstände waren für jeden nachvollziehbar. So geht es beispielsweise häufig um Angestellte, die versuchen, sich vor einer Arbeitslosigkeit zu schützen.
Lyrik
Auch die Lyrik der Neuen Sachlichkeit unterscheidet sich in ihrem Stil grundlegend von der Lyrik anderer Epochen. Während beispielsweise Gedichte des Barock, der Romantik oder des Sturm und Drang sprachlich sehr opulent und bildgewaltig sind, war für die Lyrik der Neuen Sachlichkeit nur eines wichtig: ihr Gebrauchswert. Sie sollten einen Nutzen für den Leser oder die Leserin haben und ihn oder sie auf aktuelle Missstände aufmerksam machen. Bertolt Brecht prägte den Begriff der Gebrauchslyrik. Da diese von möglichst vielen Menschen verstanden werden sollte, war auch sie in einer einfachen Sprache verfasst.
Dramatik
Auch die Theaterform der Neuen Sachlichkeit war ein Bruch mit Bisherigem. Die von Bertolt Brecht entwickelte Dramentheorie des epischen Theaters stand im Gegensatz zum aristotelischen Theater der Antike. Dabei ging es darum, das Publikum mitfühlen zu lassen. Ganz im Sinne einer sachlichen Gebrauchskunst sollte genau das beim epischen Theater nicht passieren. Statt mitzufühlen sollte das Publikum das Geschehen aus der Distanz heraus betrachten und daraus lernen. Dazu setzte Brecht Verfremdungseffekte, sogenannte V-Effekte ein, etwa in Form von Unterbrechungen durch Lieder oder Kommentare.
Ebenfalls typisch für die Dramatik der Neuen Sachlichkeit ist das kritische Volkstheater. Auch das Volkstheater der neuen Sachlichkeit war anders als das bereits seit dem 19. Jahrhundert bekannte klassische Volkstheater. Das kritische Volkstheater war gesellschaftskritisch, thematisierte politische und wirtschaftliche Probleme und handelte von Arbeitern und Arbeiterinnen, Angestellten, Handwerkern und Kleinbürgern und -bürgerinnen, also den "einfachen" Leuten.
Wichtige Autoren /-innen und Werke
Autor /-in | lebte von | bekannte Werke |
---|---|---|
Erich Kästner | 1899–1974 | "Fabian – Die Geschichte eines Moralisten" |
Bertolt Brecht | 1889–1956 | "Die heilige Johanna der Schlachthöfe" oder "Dreigroschenoper" |
Carl Zuckmayer | 1896–1977 | "Der Hauptmann von Köpenick" |
Kurt Tucholsky | 1890–1935 | "Angestellte" |
FAQ: Häufige Fragen zur Neuen Sachlichkeit
Die Neue Sachlichkeit im Überblick:
- Die Neue Sachlichkeit ist eine Strömung zur Zeit der Weimarer Republik (1918–1933).
- Typisch ist eine sachliche, einfache und präzise Sprache.
- Thematisch wurden die zeitgeschichtlichen Ereignisse dokumentiert: die Folgen des Ersten Weltkrieges und die sozialen und wirtschaftlichen Probleme der Weimarer Republik.
- Die Literatur hatte einen Gebrauchswert und sollte die Leserinnen und Leser über politische und soziale Zustände aufklären.
- Gebrauchslyrik, der Zeitroman, Reportageliteratur sowie das epische Theater sind typische Literaturformen der Neuen Sachlichkeit.
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