Die wichtigsten Dramentheorien im Überblick
Die Dramentheorien sagen viel darüber aus, wie ein Drama aufgebaut sein soll. | Foto: LightFieldStudios / Getty Images
Dramentheorien: mehr als reine Theorie
Theorien sind was aus dem Sowi-Unterricht oder etwas, das du bestenfalls für Pädagogik im Abitur lernen musst? Nicht ganz. Auch im Deutschunterricht begegnen sie dir in Form der Dramentheorien. Und wie der Name es sagt, sind sie auch erstmal genau das: ziemlich theoretisch. Doch wie du es bereits von Gedichtanalysen oder der Interpretation von Kurzgeschichten kennst: Mit der Theorie allein ist es im Fach Deutsch nicht getan. Denn die Dramentheorien sind wichtig, wenn du über ein Drama eine Interpretation schreiben sollst. Und für Deutsch im Abitur brauchst du sie sowieso. Von Aristoteles bis Dürrenmatt: Wir erklären dir die wichtigsten Dramentheorien.
Definition: Das ist eine Dramentheorie
Eine Dramentheorie beschäftigt sich mit der Frage, welche charakteristischen Merkmale ein Drama in Inhalt, Struktur und Darstellungsform hat. Es gibt nicht die eine Dramentheorie, sondern verschiedene, die seit der Antike von Autoren oder Dramaturgen aufgestellt und weiterentwickelt wurden. Das liegt daran, dass das Drama damals die angesehenste Form der Dichtung war und Literaten und Gelehrte in der ständigen Diskussion darüber waren, was dieses Angesehene ausmacht und wie man es von weniger Angesehenem unterscheidet.
Das ist ein Drama
Um die verschiedenen Dramentheorien in ihren Ansätzen und Kernaussagen zu begreifen, ist es wichtig zu wissen, was ein Drama überhaupt ist und was es so besonders macht. Das Drama gehört zu der literarischen Gattung der Dramatik und unterscheidet sich maßgeblich von den anderen zwei Gattungen, der Lyrik und der Epik. Bei lyrischen, also dichterischen Texten, und den epischen, erzählenden Texten sind es die Texte selbst, die es den Lesern /-innen ermöglichen, durch ihre Fantasie eigene Vorstellungen und Bilder zu entwickeln. Das Drama hingegen beansprucht die sinnliche Wahrnehmung seines Publikums. Denn Dramentexte werden geschrieben, um sie auf der Bühne aufzuführen. Deswegen sind sie in Dialogform geschrieben, haben keinen Erzähler, dafür aber, meist kursiv gedruckt, Anweisungen für Regie und Bühnenbild.
Dramatische Texte sind somit Theaterstücke. Du liest quasi ein Drehbuch, dessen Handlung du aus der wörtlichen Rede ableiten musst. Da die Sprache oft altmodisch ist, fällt das reine Lesen und Verstehen eines Dramentextes manchmal schwer, schließlich fehlt der visuelle Eindruck, für den das Drama gemacht ist.
Merkmale eines Dramas
Bevor wir zu den speziellen Charakteristika kommen, die die einzelnen Dramentheorien festlegen, ruf dir noch einmal folgende Merkmale eines Dramas in Erinnerung:
- Dramatische Texte gliedern sich in Szenen und Akte.
- Dramentexte sind in Dialogform verfasst. Spricht über längere Zeit nur eine Figur, handelt es sich um einen Monolog.
- Es gibt Regieanweisungen.
- Es gibt keinen Erzähler.
- Es gibt Komödien (= gutes Ende) und Tragödien (=schlechtes Ende)
Die aristotelische Dramentheorie
Die Entstehung der Dramentheorie geht bis ins Altertum zurück. Der griechische Gelehrte Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) legte in seinem Werk "Poetik" die Charakteristika des "Klassischen Dramas" fest und schuf damit die klassische Dramentheorie. Sie wird auch als aristotelische Dramentheorie bezeichnet und war für Literaten und Literatinnen über Jahrhunderte hinweg eine wichtige Vorlage, nach der sie ihre Werke aufbauten. Aristoteles’ Theorie wurde von anderen Gelehrten und Literaten wie Lessing und Brecht weiterentwickelt und ist somit die Basis für die inhaltliche und strukturelle Auseinandersetzung mit der Literaturform Drama.
Das antike Drama
Das Drama hatte im antiken Griechenland einen sehr hohen Stellenwert. Es war von großer religiöser und politischer Bedeutung, die Aristoteles gegenüber dem Philosophen Platon zu rechtfertigen versuchte. Dieser sah die Dichtung als staatsgefährdend an. Daraufhin verfasste Aristoteles seine heute nicht mehr vollständig erhaltene "Poetik" samt Dramentheorie.
Gut zu wissen
Unter klassischem Drama verstand Aristoteles die Tragödie. Seiner Meinung nach brachte die Tragödie die besseren Menschen auf die Bühne als die Komödie. Seine Ausführungen zur Komödie sind nicht erhalten.
Die Kernaussage der aristotelischen Dramentheorie
Auch wenn der Begriff "Dramentheorie" theoretisch klingt und befürchten lässt, dass es jetzt ziemlich kompliziert wird: Nein, die Aussagen der aristotelischen Dramentheorie sind gar nicht schwer zu verstehen. Sie besagen, dass das klassische Drama…
- eine Mimesis (Nachahmung) ist.
- Jammern (Eleos) und Schaudern (Phobos) auslösen soll.
- eine Katharsis bewirken soll.
- eine Einheit von Ort, Zeit und Handlung bildet.
- in gehobener Sprache verfasst ist.
- einen geschlossenen Aufbau hat.
Werfen wir einen Blick darauf, was das nun im Einzelnen bedeutet und welche Funktion damit einhergeht.
Die Mimesis
"Mimesis" bedeutet "Nachahmung". Nach Aristoteles soll in der Tragödie eine Handlung durch direkte Rede nachgeahmt werden. Das Handeln geschieht beim Sprechen, man braucht, anders als in der Epik, keinen Erzähler, der sagt, was gerade passiert. Ziel davon ist es, nicht etwas Statisches, sondern etwas Bewegtes wiederzugeben und darzustellen.
Eleos und Phobos
Die szenische Darstellung einer tragischen Handlung hat laut Aristoteles den Sinn, beim Publikum Jammern und Schaudern, also Eleos und Phobos, auszulösen.
Katharsis
Eleos und Phobos entladen sich in der Katharsis. Das ist eine Reinigung, die sich durch das Freisetzen starker Gefühle vollzieht. Das Publikum leidet mit, erlebt dadurch eine Katharsis und gelangt so zu einer inneren Zufriedenheit. Deswegen verwendet das antike Drama in seinen Erzählungen übrigens auch ausschließlich hochrangige Figuren wie Götter oder Könige. Bei ihnen ist die Fallhöhe größer als bei jenen, denen es eh schon schlecht geht. Das Mitleiden wird somit einfacher.
Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung
Die Einheit von Handlung und Zeit, die Aristoteles für das klassische Drama festlegt, wird im 17. Jahrhundert um die Einheit des Ortes ergänzt und seitdem als die drei aristotelischen Einheiten bezeichnet. Sie besagen, dass…
- …die Handlung innerhalb eines Tages erfolgt.
- …es nur eine Haupt- und keine Nebenhandlungen gibt. Außerdem haben die Szenen eine klare Reihenfolge, die aufeinander aufbaut und somit nicht verändert werden kann. Anfang und Ende sind ebenfalls klar definiert.
- …es keine Ortswechsel gibt und die gesamte Handlung an einem Ort stattfindet.
Wusstest du, dass…
… die Einheit des Ortes hinzugefügt wurde, weil es im barocken Theater keine Möglichkeit gab, das Bühnenbild ständig zu ändern? Unterbrechungen hätten der Mimesis, der Nachahmung, geschadet.
Gehobener Sprachstil
Auch die Sprache des klassischen Dramas legte Aristoteles fest. Sie sollte gehoben sein und in Versform verfasst.
Geschlossener Aufbau
Das aristotelische Drama wird auch als geschlossenes Drama bezeichnet, weil es einem strengen Aufbau folgt, von dem es nicht abweicht. Ausgehend von Aristoteles’ Theorien hat Gustav Freytag 1863 in seiner Schrift "Die Technik des Dramas" das Pyramidenmodell entworfen, das zeigt, wie ein geschlossenes Drama aufgebaut ist:
- 1. Akt: Exposition: Die handelnden Personen des Dramas werden vorgestellt, ein Konflikt kündigt sich an.
- 2. Akt: Erregendes Moment: Die Handlung nimmt Fahrt auf und der Konflikt verschärft sich.
- 3. Akt: Peripetie: Der Höhepunkt der Handlung
- 4. Akt: Retardierendes Moment: Nach dem Höhepunkt fällt die Handlung ab. Das retardierende Moment verzögert die Handlung und baut Spannung vor der folgenden Katastrophe auf.
- 5. Akt: Es kommt zur großen Katastrophe (z.B. dem Tod des Helden) oder zu einer Lösung des Konflikts (z.B. einer Versöhnung).
Die Dramentheorie nach Lessing
Die strengen Vorgaben, die Aristoteles mit seiner Dramentheorie für das Drama macht, hielten sich bis ins 18. Jahrhundert hinein. Erst in der Zeit der Aufklärung erfuhr sie durch Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) die erste große Weiterentwicklung mit seiner "Hamburgischen Dramaturgie". Sie besagt, dass…
- das oberste Vorbild des Dramas weiterhin die Antike sein soll.
- die Tragödie die Fähigkeit des Publikums zum Fühlen von Mitleid erweitern soll.
- der Zuschauer oder die Zuschauerin sich immer mit der leidenden Figur identifizieren soll.
- Mitleid als zentrales Element zur Rührung der Zuschauer /-innen führen und diese so zu besseren, tugendhaften Menschen machen soll.
- es keine Ständeklausel mehr gibt. Stattdessen soll die bürgerliche Mittelschicht ins Zentrum der Tragödie rücken.
Zusammengefasst bedeutet das: Das Theater ist eine "Schule der moralischen Welt", wo der/die Zuschauer /-in sich mit realistischen (da bürgerlichen) Figuren und Handlungen identifiziert. Das schult seine/ihre Fähigkeit, Mitleid zu empfinden. Dies führt zur Katharsis und macht aus ihm/ihr einen besseren Menschen.
Wusstest du, dass…
… nach dem Niedergang des antiken Theaters im 3. Jahrhundert n. Chr. erstmal ein langer "theaterloser" Zeitraum folgte? Erst im 10. Jahrhundert, also gut 700 Jahre später, entwickelte sich das geistliche Spiel, das untrennbar mit den christlichen Glaubensvorstellungen des Mittelalters verknüpft war. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Kirche das Theater als "Umschlagplatz der Sünde" massiv bekämpft.
Die Dramentheorie nach Brecht
Die Dramentheorie von Bertolt Brecht (1898–1956) steht in engem Zusammenhang mit dem von ihm begründeten epischen Theater. Wie du schon an der Bezeichnung sehen kannst, verbindet er darin zwei literarische Gattungen miteinander: die Epik und die Dramatik. Aus diesem Grund wird das epische Theater auch als erzählendes Theater bezeichnet.
Brecht hat den Aufbruch in die Moderne miterlebt und macht mit dem Konzept des epischen Theaters genau das, was für diese Epoche typisch ist: Er bricht mit dem Traditionellen, in diesem Fall dem aristotelischen Drama, und schafft etwas komplett Neues.
Das epische Theater markiert den Beginn des modernen Dramas. Anders als bisher geht es Brecht nicht mehr darum, das Publikum mitleiden zu lassen. Vielmehr will er eine Distanz zur Handlung schaffen. So soll der Zuschauer oder die Zuschauerin zum /-r kritischen Beobachter /-in werden und Handlungsmöglichkeiten erkennen. Es geht um Mitdenken, nicht Mitleiden. Damit wendet sich Brecht von den Grundsätzen des aristotelischen Dramas ab. Die Unterschiede sind folgende:
Die Unterschiede zwischen Aristoteles und Brecht
Aristotelisches Drama | Episches Theater |
---|---|
geschlossenes Drama | offenes Drama |
linerarer Handlungsverlauf | Sprünge im Handlungsverlauf |
Szenen bauen aufeinander auf | Szenen stehen als Episoden auch für sich allein |
Zuschauer /-in soll sich Stück und Figuren einfühlen. | Zuschauer /-in soll das Stück aus der Distanz beobachten |
Vom Publikum wird keine eigene Leistung erwartet | Zuschauer /-in soll zum Nachdenken und Handeln angeregt werden |
appelliert an das Gefühl | appelliert an Gefühl und Verstand |
Zielgruppe: gebildetet Oberschicht | Zielgruppe: das Proletariat |
Ziel: unterhalten | Ziel: zum Denken und Handeln animieren |
Kein Bezug zur Lebenswirklichkeit des Publikums | Bezug zum Alltag des Publikums |
soll nur unterhalten | soll gesellschaftliche Veränderungen bewirken |
Der Mensch gilt als unveränderbar. | Der Mensch gilt als veränderbar. |
Schauspieler /-innen sollen sich in ihre Rolle einfühlen. | Schauspieler /-innen sollen Figur und ihre Handlungen zeigen und bewerten |
Die Dramentheorie nach Dürrenmatt
Der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt (1921-1990), bekannt unter anderem für Werke wie "Die Physiker" oder "Der Besuch der alten Dame", konnte sich am Übergang von Moderne zu Postmoderne weder mit dem aristotelischen Drama noch mit dem epischen Theater identifizieren. Mit seiner Dramentheorie etablierte er eine neue Unterform des Dramas: die Tragikomödie. In der Mischform aus Tragödie und Komödie nutzt Dürrenmatt die "kleinen Charaktere" aus der Komödie und verwendet mit dem Grotesken ein besonderes Stilmittel, das Aufsehen erregen und so Distanz zum Publikum schaffen soll.
Durch die Groteske wird die Realität so übertrieben dargestellt, dass das Publikum das Stück nur witzig finden kann. Ein weiteres Kennzeichen Dürrenmatts ist das Chaos. Es lässt extreme Tragik vom Traurigen oder Schockierenden ins Lustige und Absurde umschlagen. Mit diesem Extrem widerspricht Dürrenmatt sowohl dem aristotelischen als auch dem epischen Theater und hat somit einen ganz eigenen Weg, durch seine Stücke politische und gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen und den/die Zuschauer /-in zum Nachdenken anzuregen.
FAQ: Häufige Fragen
Dramentheorie im Überblick
- Es gibt mehrere Dramentheorien.
- Die erste Dramentheorie stammt von Aristoteles. Sie ist die Grundlage vieler Theaterkonzeptionen.
- Die aristotelische Dramentheorie besagt, dass das Drama Schaudern und Jammern beim Publikum auslösen soll. Dadurch soll es zu einer Reinigung, der Katharsis kommen.
- Das aristotelische Drama ist ein geschlossenes Drama mit einem festgelegten Aufbau in fünf Akten.
- Lessing erweitert Aristoteles’ Theorie um das Mitleid: Das Publikum soll mitleiden und dadurch zu einem besseren Menschen werden.
- Außerdem rückt Lessing die bürgerliche Mittelschicht ins Zentrum der Handlung.
- Brecht bricht mit seinem Konzept des epischen Theaters komplett mit diesen Theorien. Er will Distanz zwischen Publikum und Handlung schaffen und die Zuschauer /-innen zum kritischen Denken anregen.
- Dürrenmatt entwickelt dann im Übergang zwischen Moderne und Postmoderne seine eigene Dramenform: die Tragikomödie. Seine typischen Stilmittel sind Groteske und Chaos.
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