Episches Theater: Brechts Dramentheorie einfach erklärt
Brechts episches Theater bricht mit den klassischen Traditionen eines Dramas. | Foto: cottonbro/pexels
Episches Theater: Brechts Dramentheorie
Nicht erst bei Deutsch im Abitur wird es dir passieren, dass du einen Dramentext analysieren sollst. Und wie du für eine Gedichtanalyse mit den Literaturepochen vertraut sein solltest, ist es für die Interpretation eines Dramentextes wichtig, die wichtigsten Dramentheorien zu kennen. Neben Aristoteles gehört dazu auch das epische Theater von Bertolt Brecht. Wir erklären dir, was sich hinter dieser Theaterkonzeption verbirgt und wie sich das epische Theater von der aristotelischen Dramentheorie unterscheidet.
"Verfremdung ist, dem Vorgang oder dem Charakter das Selbstverständliche, Bekannte, Einleuchtende zu nehmen und über ihn Staunen und Neugierde zu erzeugen". (Bertolt Brecht in Schriften zum Theater I, Frankfurt/M. 1963)
Definition: Das ist das epische Theater
Das epische Theater ist eine vom Schriftsteller Bertolt Brecht entwickelte Theaterform. In ihr verwirklicht Brecht seine eigene Dramentheorie. Diese hebt die bis dato strikte Trennung der Gattungen Epik und Dramatik auf und grenzt sich außerdem von der aristotelischen Dramentheorie ab. Diese neue Verbindung spiegelt sich auch in der Bezeichnung "episches Theater" wider.
Das epische Theater ist somit etwas völlig Neues und markiert den Beginn des modernen Dramas. Dabei ändert es sich nicht nur in Aufbau, Funktion und Inhalt. Auch Publikum und Schauspieler /-innen kommt eine völlig neue Rolle zu.
Gut zu wissen
Eine Dramentheorie legt fest, welche charakteristischen Merkmale ein Drama in Inhalt, Struktur und Darstellungsform hat. Bekannte Dramentheorien stammen neben Brecht unter anderem von Aristoteles und Gotthold Ephraim Lessing.
Das Drama
Um zu verstehen, was für Veränderungen Brecht mit seiner Dramentheorie begründet hat, erinnere dich zunächst daran, was ein Drama überhaupt ist: Es gehört zu der literarischen Gattung der Dramatik und unterscheidet sich grundlegend von den anderen zwei literarischen Gattungen, der Epik und der Lyrik.
literarische Gattung | Defintion | Beispiele |
---|---|---|
Epik | erzählende Texte | Romane, Novellen oder Kurzgeschichten |
Lyrik | poetische Texte | sämtliche Gedichtformen |
Dramatik | das Drama | Tragödie, Komödie oder Tragikomödie |
Was das Drama so besonders macht, ist, dass es die sinnliche Wahrnehmung des /-r Zuschauers /-in beansprucht. Denn Dramen werden dafür geschrieben, sie als Theaterstück auf einer Bühne vor Publikum aufzuführen. Epische und lyrische Texte hingegen werden zum Lesen geschrieben und regen die Entwicklung eigener Vorstellungen und Bilder dadurch ganz anders an als ein Bühnenstück.
Merkmale eines Dramas
Wie jede literarische Form, so hat auch das Drama bestimmte Merkmale, die es ausmacht und anhand derer du es ganz eindeutig als Drama erkennen kannst. Diese Merkmale sind folgende:
- Dramatische Texte gliedern sich in Szenen und Akte.
- Dramentexte sind in Dialogform verfasst. Spricht über längere Zeit nur eine Figur, handelt es sich um einen Monolog.
- Es gibt Regieanweisungen.
- Es gibt keinen Erzähler.
- Es gibt Komödien (= gutes Ende) und Tragödien (=schlechtes Ende)
Die aristotelische Dramentheorie
Brecht war nicht der Erste, der mit dem epischen Theater eine Theaterkonzeption entwickelt hat. Ganz im Geiste der Moderne ging es Brecht darum, mit bisherigen Konventionen zu brechen und etwas völlig Neues zu schaffen. So wandte er sich mit dem epischen Theater auch von dem ab, was Jahrhunderte lang dem Drama zugrunde lag: die aristotelische Dramentheorie. Sie solltest du kennen, um das epische Theater zu verstehen.
Entstehung
Die aristotelische Dramentheorie geht auf den griechischen Gelehrten Aristoteles (384 - 322 v. Chr.) und damit bis in die Antike zurück. In seinem Werk „Poetik" legte er die Merkmale des klassischen Dramas fest, das im Altertum eine wichtige Rolle spielte.
Die Kernaussage der aristotelischen Dramentheorie
Die aristotelische Dramentheorie war für Literaten und Literatinnen jahrhundertelang die Vorlage, nach der sie ihre Stücke ausrichteten. Die Kernaussagen der aristotelischen Dramentheorie sind:
- Das klassische Drama ist eine Mimesis (Nachahmung).
- Es soll Jammern (Eleos) und Schaudern (Phobos) auslösen.
- Ziel ist die Katharsis.
- Das Drama bildet eine Einheit von Ort, Zeit und Handlung.
- Es ist in gehobener Sprache verfasst.
- Es hat einen geschlossenen Aufbau.
Aristoteles’ Dramentheorie wurde von Literaten wie Lessing, Schiller oder Brecht aufgenommen und weiterentwickelt. Sie ist die Grundlage für die inhaltliche und strukturelle Auseinandersetzung mit der Literaturform Drama.
Wusstest du, dass…?
… es im klassischen Drama ausschließlich hochrangige Figuren wie Götter oder Könige gibt? Das hat unter anderem mit der Katharsis zu tun. Bei sozial hochgestellten Personen ist die Fallhöhe größer als bei jenen, denen es eh schon schlecht geht. So werden beim Publikum leichter die gewünschten Gefühle ausgelöst.
Die Mimesis
"Mimesis" bedeutet "Nachahmung" und bezieht sich darauf, dass nach Aristoteles eine Handlung durch direkte Rede nachgeahmt wird. Da das Handeln beim Sprechen geschieht, ist, anders als in der Epik, kein Erzähler nötig. Ziel davon ist es, nicht etwas Statisches, sondern etwas Bewegtes wiederzugeben.
Eleos und Phobos
Der Sinn einer szenischen Darstellung liegt laut Aristoteles darin, beim Publikum Eleos und Phobos, also Jammern und Schaudern, auszulösen. Das Drama soll also bestimmte Gefühle hervorrufen.
Katharsis
Diese bestimmten Gefühle, Eleos und Phobos, entladen sich in der Katharsis. Das ist eine Reinigung, die sich durch das Freisetzen dieser starken Gefühle vollzieht. Die Zuschauer /-innen leiden also mit, erleben dadurch eine Katharsis und gelangen so zu einer inneren Zufriedenheit.
Die Einheit von Ort, Zeit und Handlung
Wenn es um die aristotelische Dramentheorie geht, ist dir bestimmt schon der Begriff der drei aristotelischen Einheiten begegnet. Sie besagen, dass Handlung, Zeit und Ort eine Einheit bilden müssen. Das bedeutet, dass:
- die Handlung innerhalb eines Tages erfolgt.
- es eine Haupt- und keine Nebenhandlungen gibt.
- es keine Ortswechsel gibt und die gesamte Handlung an einem Ort stattfindet.
Gehobener Sprachstil
Die Sprache des klassischen Dramas legte Aristoteles ebenfalls fest. Sie sollte gehoben sein und in Versform verfasst.
Geschlossener Aufbau
Eine weitere Bezeichnung, die du für das aristotelische oder klassische Drama findest, ist "geschlossenes Drama." Das kommt daher, dass das Drama einem strengen Aufbau folgt, von dem es niemals abweicht. Gustav Freytag hat das in einem Pyramidenmodell festgehalten, das du sicher schon aus dem Deutschunterricht kennst. Es zeigt ganz genau, wie das geschlossene Drama aufgebaut ist:
- 1. Akt: Exposition: Die handelnden Personen des Dramas werden vorgestellt, ein Konflikt kündigt sich an.
- 2.Akt: Erregendes Moment: Die Handlung nimmt Fahrt auf und der Konflikt verschärft sich.
- 3. Akt: Peripetie: Der Höhepunkt der Handlung
- 4. Akt: Retardierendes Moment: Nach dem Höhepunkt fällt die Handlung ab. Das retardierende Moment verzögert die Handlung und baut Spannung vor der folgenden Katastrophe auf.
- 5. Akt: Entweder kommt es hier zur großen Katastrophe (z.B. dem Tod des Helden) oder zu einer Lösung des Konflikts (z.B. einer Versöhnung).
Wusstest du, dass… ?
… Aristoteles lediglich die Einheit von Handlung und Zeit festgelegt hat? Die Einheit des Ortes wurde erst im 17. Jahrhundert ergänzt. Das lag am barocken Theater, das keine Möglichkeit hatte, das Bühnenbild ständig zu ändern.
Das epische Theater
Brecht selbst hat das epische Theater als ein "Theater des wissenschaftlichen Zeitalters" bezeichnet. Es soll an die Vernunft des /-r Zuschauers /-in appellieren und zu kritischem Denken anregen. Auf diesem Weg will Brecht die Gesellschaft verändern. Die Merkmale des epischen Theaters kannst du in Inhalt, Form und Sprache unterscheiden.
Allgemein kannst du dir aber erstmal merken, dass…
- der/die Zuschauer /-in in der Rolle des /-r Beobachters /-in ist.
- Er/Sie steht der Handling distanziert gegenüber.
- Ziel ist es, zum kritischen Denken und politischen Handeln anzuregen.
- Diese Theaterform setzt voraus, dass der Mensch sich ändern und die Welt verändern kann.
Inhaltliche Merkmale des epischen Theaters
Anders als im aristotelischen Drama geht es dem epischen Theater nicht darum, tragische Einzelschicksale zu zeigen. Vielmehr stehen große gesellschaftliche Themen wie Krieg, wirtschaftliche Probleme oder soziale Missstände im Fokus. Zudem stellt es Bezüge zum Alltag und zur Lebenswirklichkeit des Publikums dar. Ziel ist es nicht, den einzelnen Menschen, sondern die Welt zu verbessern.
Formale und sprachliche Merkmale
Typisch für das epische Theater ist seine offene Dramenform. Es kann hier also nicht mehr, wie bei Aristoteles, von einem geschlossenen Drama gesprochen werden. Außerdem findest du Sprünge und Wendungen im Handlungsverlauf, der nicht mehr zwangsläufig stringent sein muss. Szenen können im epischen Drama auch für sich stehen und müssen nicht mehr aufeinander aufbauen.
Da es sich beim erzählenden Theater um eine Verschmelzung von Epik und Dramatik handelt, kannst du darin zahlreiche epische Elemente wie einen Erzähler finden. Auch die Rolle des /-r Schauspielers /-in ist im epischen Theater eine andere: Er/Sie soll sich nicht mehr in seine Rolle einfühlen, sondern die Figur und ihre Handlungen zeigen und bewerten.
Der Unterschied zum aristotelischen Drama
Mit dem epischen Theater begründet Brecht den Beginn des modernen Dramas. Es wendet sich von den Grundsätzen des aristotelischen Dramas ab und bricht mit den bis dahin bekannten Strukturen und Merkmalen dieser Literaturform. Auch seine Funktion verändert sich grundlegend.
Aristotelisches Drama | Episches Theater |
---|---|
geschlossenes Drama | offenes Drama |
linerarer Handlungsverlauf | Sprünge im Handlungsverlauf |
Szenen bauen aufeinander auf | Szenen stehen als Episoden auch für sich allein |
Zuschauer /-in soll sich Stück und Figuren einfühlen. | Zuschauer /-in soll das Stück aus der Distanz beobachten |
Vom Publikum wird keine eigene Leistung erwartet | Zuschauer /-in soll zum Nachdenken und Handeln angeregt werden |
appelliert an das Gefühl | appelliert an Gefühl und Verstand |
Zielgruppe: gebildetet Oberschicht | Zielgruppe: das Proletariat |
Ziel: unterhalten | Ziel: zum Denken und Handeln animieren |
Kein Bezug zur Lebenswirklichkeit des Publikums | Bezug zum Alltag des Publikums |
soll nur unterhalten | soll gesellschaftliche Veränderungen bewirken |
Der Mensch gilt als unveränderbar. | Der Mensch gilt als veränderbar. |
Schauspieler /-innen sollen sich in ihre Rolle einfühlen. | Schauspieler /-innen sollen Figur und ihre Handlungen zeigen und bewerten |
Bekannte Werke
Als Vorgänger von Brechts epischem Theater gelten unter anderem Werke wie "Woyceck" von Georg Büchner (1813–1837) sowie Dramen von Frank Wedekind. Brecht wollte sich jedoch nicht damit begnügen, die Welt im Sinne des Naturalismus so abzubilden, wie sie war. Vielmehr wollte er die Welt verändern. Aus diesem Grund führte er unterschiedliche Elemente seiner Vorgänger zusammen und erzielte mit "Mutter Courage und ihre Kinder" im Jahr 1941 einen so großen Erfolg, dass der Begriff des epischen Theaters fast ausschließlich für seine Theaterstücke verwendet wird.
Weitere epische Theaterstücke von Brecht:
Titel | Erscheinungsjahr |
---|---|
"Die Dreigroschenoper" | 1928 |
"Die heilige Johanna der Schlachthöfe" | 1933 |
"Der gute Mensch von Sezuan" | 1943 |
"Der kaukasische Kreidekreis" | 1948 |
FAQ: Häufige Fragen
Das epische Theater im Überblick
- Das epische Drama ist ein Theaterkonzept von Bertolt Brecht.
- Es bricht mit der Tradition des klassischen Dramas und ist ein Gegenentwurf zur aristotelischen Dramentheorie.
- Anders als im klassischen Drama soll das Publikum hier nicht mitfühlen, sondern Distanz zum Geschehen und zu den Figuren wahren.
- Ziel ist es, das Publikum zum kritischen Denken anzuregen und so die Welt zu verbessern.
- Ein typisches Stilmittel des epischen Theaters ist der Verfremdungseffekt.
- Weitere Unterschiede zum klassischen Drama sind zum Beispiel seine offene Form, erzählende Elemente, Abkehr vom strikten Aufbau sowie der Bezug zum Alltag der Zuschauer /-innen.
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