Naturalismus Epoche: Wissenschaft trifft Literatur (1880–1900)

Elena Weber

Epoche des Naturalismus

Im Naturalimsus ging es darum, die Realität so exakt wie möglich abzubilden. | Foto: Alexkich/Getty Images

Die Naturalismus Epoche: eine einfache Formel

Zeitgeschichte, Merkmale und rhetorische Mittel – um eine Literaturepoche zu verstehen und eine Gedichtanalyse oder eine Interpretation über ein Drama oder eine Kurzgeschichte schreiben zu können, brauchst du einiges an Hintergrundwissen. Und dieses ganze Wissen muss zusammengefasst werden, schließlich muss man es sich ja irgendwie merken. Der Schriftsteller Arno Holz hat 1891 genau das gemacht und die Epoche des Naturalismus in einer mathematischen Formel zusammengefasst: Kunst = Natur - x. Wir verraten dir, was diese Formel über die Naturalismus Epoche aussagt und wie du dir damit die wichtigsten Fakten über eine ganze Epoche merken kannst.

"Dem Menschen sind nur die Erde und das kurze Leben auf ihr gegeben. Er ist eingespannt in einen naturgesetzlichen Ablauf der Dinge. Die Willsenfreiheit ist eine Illusion." (Hippolyte Taine, Philosoph)

Auf einen Blick: Naturalismus

  • Zeitraum: 1880–1900
  • Einordnung: Nachfolger des Realismus (1848–1890)
  • bedeutende Ereignisse: Industrialisierung und ihre Folgen
  • Merkmale: Darstellung des Hässlichen, Milieu und Vererbung
  • Literatur: Dramatik als wichtigste Gattung der Epoche
  • Vertreter /-innen: Gerhart Hauptmann, Lew Nikolajewitsch Tolstoi

Tipp

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Naturalismus Epoche: Definition

Der Begriff "Naturalismus" leitet sich vom lateinischen Wort "natura" (Natur) ab und bezeichnet eine Literaturepoche in der Zeit von 1880 bis 1900. Ihm folgte die Epoche der Moderne (1890–1920). Der Naturalismus ging als Protestbewegung aus dem Realismus (1848–1890) hervor und kann als dessen Steigerung verstanden werden, denn er war deutlich radikaler: Wo der Realismus aus der Wirklichkeit das Schöne herausarbeiten wollte, zeigte der Naturalismus das Hässliche. Soziale Missstände sollten aufgedeckt und die Wirklichkeit so detailliert und wirklichkeitsgetreu wie möglich dargestellt werden. Und die Wirklichkeit war zu dieser Zeit alles andere als schön – vor allem für die Arbeiterklasse.

Zeitgeschichtliche Einordnung

Zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es viele gesellschaftliche Umbrüche: die industrielle Revolution, Arbeitslosigkeit, Landflucht und Verstädterung. Da durch die Industrialisierung viele Arbeiten auf dem Land wegfielen, zog es die Menschen in die Städte. Das führte dazu, dass erstmals mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land lebten. Viele Menschen fanden jedoch keinen Job. Es gab zu wenige Arbeitsplätze, zu wenige Wohnungen, dafür aber große Armut, viele Krankheiten und gerade in den Fabriken herrschten schlechte Arbeitsbedingungen. Die Folgen waren soziales Elend, Alkoholismus, Kriminalität und Prostitution.

Gleichzeitig erlebten die Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert einen enormen Aufschwung. Es gab große technische Erfindungen wie den Dieselmotor, die Schallplatte und die Dampfturbine. Außerdem prägten Denker wie der Naturwissenschaftler Charles Darwin, der Psychologe Sigmund Freud und der Philosoph Hippolyte Taine mit ihren Thesen und Theorien das Menschenbild: Sie begriffen den Menschen als ein determiniertes, also in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränktes, Wesen, das durch seine soziale Herkunft beschränkt ist.

Merkmale des Naturalismus

Der Naturalismus machte die moderne Industriegesellschaft und ihre gesellschaftlichen Folgen zum Gegenstand von Kunst und Literatur. Daraus ergaben sich verschiedene Merkmale, an denen du die Naturalismus Epoche erkennen und von anderen Literaturepochen und Strömungen unterscheiden kannst:

  • Verwissenschaftlichung der Kunst
  • Darstellung des Hässlichen
  • Wahrheitsbegriff
  • Milieu und Vererbung

Weitere Literaturepochen

Darstellung des Hässlichen

Der Naturalismus ist eine radikale Form des Realismus. Dieser hatte versucht, die Wirklichkeit zu beschreiben und sie literarisch zu verklären. Der Naturalismus hingegen wollte die Lebenswirklichkeit der Arbeiterschaft, des sogenannten Proletariats, zeigen. Diese war durch Arbeitslosigkeit, Armut, überfüllte Wohnungen und Krankheiten geprägt. Die Menschen, die Arbeit hatten, schufteten in den Fabriken unter unwürdigen Bedingungen bis zu 18 Stunden am Tag, an sieben Tagen die Woche. Die Arbeit von Frauen und Kindern in den Bergwerken war noch schlechter bezahlt.

Entsprechend inszenierten die literarischen Vertreter und Vertreterinnen das Hässliche, auch, um damit zu provozieren. Sie beschrieben Elend, Krankheit oder Alkoholsucht der Menschen und wählten Fabriken, Hinterhöfe und Kneipen als Schauplätze aus. Durch die exakte Darstellung einer hässlichen Realität sollte auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse aufmerksam gemacht werden.

Verwissenschaftlichung der Kunst

Im 19. Jahrhundert machten die Naturwissenschaften, die Medizin und die Psychologie große Fortschritte. Charles Darwins Vererbungslehre oder Ludwig Feuerbachs Lehre über den Materialismus stellten das christliche Weltbild infrage. Diese wissenschaftlichen Fortschritte sollten sich in der Literatur wiederfinden.

Die Dichterinnen und Dichter wandten sich vom bisher Dagewesenen ab und protestierten mit ihren Werken gegen die traditionelle Form von Literatur und Kunst durch eine verwissenschaftlichte, sachliche Darstellung. Subjektivität oder Individualität hatten darin keinen Platz, ging es doch ganz im Sinne der Naturwissenschaften darum, nur das abzubilden, was auch beobachtet werden konnte.

Wahrheitsbegriff

Im Realismus war es die Aufgabe der Literatinnen und Literaten, das Schöne aus der Wirklichkeit herauszuarbeiten. Im Naturalismus arbeiteten sie nach wissenschaftlichen Maßstäben: Sie experimentierten und versuchten, allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten zu formulieren. In ihrem Selbstverständnis waren sie Experimentatoren, die die Prinzipien der Naturwissenschaften auf die Literatur übertrugen.

Milieu und Vererbung

Eine wichtige Rolle für das Verständnis der Naturalismus Epoche ist die Milieutheorie von Hippolyte Taine. Sie geht davon aus, dass der Mensch von seinen Erbanlagen und dem Milieu, also den sozialen Verhältnissen, in die er hineingeboren wird, bestimmt ist. Diese Ansicht übernahmen die Literaten und Literatinnen in ihren Werken.

In diesem Menschenbild zeigt sich ein wichtiger Unterschied zum Realismus: Während die Realisten und Realistinnen den Menschen noch als autonomes Wesen mit einem freien Willen betrachteten, sahen die Naturalisten und Naturalistinnen ihn als ein fremdbestimmtes, von Vererbung und Milieu abhängiges Wesen.

Literatur des Naturalismus

Die Autoren und Autorinnen des Naturalismus sahen sich selbst nicht als Naturalisten, sondern begriffen sich als eine junge Protestgeneration, die auf Missstände hinwies. Ihre literarischen Zentren waren Berlin und München.

Dramatik

Die Dramatik war in der Naturalismus Epoche die wichtigste literarische Gattung. Es legte seinen Fokus auf die Darstellung von Charakteren. Auch die Sprache sollte so realitätsnah wie möglich sein, weshalb du in den Dramen dieser Zeit Dialekte und Umgangssprache finden kannst. Durch die ausführlichen und genauen Regieanweisungen erhielten die Dramen einen epischen Bestandteil. Wegen seiner Mischung aus Epik und Dramatik wurde das naturalistische Drama kritisiert.

Epik

Die Naturalisten und Naturalistinnen bevorzugten epische Kurzformen wie die Novelle oder die Skizze. Themen waren das soziale Elend, Alkoholismus, Prostitution und das Leben in den viel zu kleinen und überfüllten Mietskasernen.

Auf formaler Ebene entwickelte sich eine neue Erzähltechnik: der Sekundenstil. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass die Erzählzeit (Zeitspanne, die du zum Lesen benötigst) und die erzählte Zeit (die im Werk erzählte Zeit) deckungsgleich sind. Damit wollten die Autoren und Autorinnen die Wirklichkeit von Sekunde zu Sekunde kopieren. Ein Beispiel dafür ist die Erzählung "Bahnwärter Thiel" von Gerhart Hauptmann aus dem Jahr 1887:

"Der Zug wurde sichtbar – er kam näher – in unzählbar sich überhastenden Stößen fauchte der Dampf aus dem schwarzen Maschinenschlote. Da: ein – zwei – drei milchweiße Dampfstrahlen quollen kerzengerade empor, und gleich darauf brachte die Luft den Pfiff der Maschine getragen. Dreimal hintereinander, kurz, grell, beängstigend. Sie bremsen, dachte Thiel, warum nur? Und wieder gellten die Notpfiffe schreiend, den Widerhall weckend, diesmal in langer, ununterbrochener Reihe."

Lyrik

Der Bruch mit bisherigen literarischen Traditionen bedeutete in der Lyrik den Verzicht auf ein Reimschema sowie ein bestimmtes Metrum. Lyrische Themen waren die Großstadt und die sozialen Probleme. In der Epoche des Naturalismus entsteht auch die Großstadtlyrik, also Gedichte, die vom Leben in der Großstadt erzählen..

Wichtige Autoren /-innen und Werke

Autor /-in lebte von bekannte Werke
Gerhart Hauptmann 1862–1946 "Die Weber" oder "Die Ratten"
Arno Holz 1863–1929 "Die Familie Selicke"
Johannes Schlaf 1862–1941 "Meister Oelze"
Henrik Ibsen 1828–1906 "Gespenster"
Lew Nikolajewitsch Tolstoi 1828–1910 "Anna Karenina"
Emile Zola 1840–1902 "Die Erde"

Der Naturalismus: die Formel für eine Epoche

Man kann den Naturalismus auch simpler und weniger ausführlich erklären, nämlich mit der eingangs erwähnten Formel "Kunst = Natur – x" In seinem Werk "Die Kunst. Ihre Wesen und Ihre Gesetze" hat der Schriftsteller Arno Holz diese Formel 1891 formuliert und das Prinzip des Naturalismus damit kurz und einfach zusammengefasst: Die Kunst ist gleich der Natur, wobei "Natur" hier die Wirklichkeit meint. Es ist Aufgabe des Schriftstellers oder der Schriftstellerin, den Faktor x so klein wie möglich zu halten, also alles, was die möglichst genaue Abbildung der Wirklichkeit beeinflussen könnte

FAQ: Häufige Fragen zur Naturalismus Epoche

Was ist typisch für den Naturalismus?

Typisch für den Naturalismus sind Schilderungen des Milieus der einfachen Bevölkerung und der Arbeiterwelt. Dabei werden Armut, belastende Lebensverhältnisse und Ausbeutung sowie die Veränderungen durch die industrielle Revolution als wesentliche Motive in den Texten verarbeitet.

Was ist die Epoche des Naturalismus?

Das Wort "Naturalismus" leitet sich vom lateinischen Wort natura ab, das übersetzt Natur bedeutet. Vertreter /-innen der Epoche verfolgen das Ziel, Gesellschaft und Wirklichkeit möglichst genau und realitätsgetreu abzubilden, auch gesellschaftliche Probleme werden ungeschönt dargestellt und kritisiert.

Welche Merkmale kennzeichnen den Naturalismus als Strömung der Moderne?

Der Naturalismus machte die moderne Industriegesellschaft und ihre gesellschaftlichen Folgen zum Gegenstand von Kunst und Literatur. Der Naturalismus wollte so nah wie möglich an der Realität sein und diese ungeschönt und mit all ihren Problemen wiedergeben.

 Die Naturalismus Epoche im Überblick:

  • Der Naturalismus ist eine Steigerung des Realismus.
  • Es ging um die ungeschönte Darstellung der Wirklichkeit.
  • Im Mittelpunkt stand die Lebenswirklichkeit der Arbeiterschaft. Diese bestand aus Arbeitslosigkeit und Armut.
  • Die Industrialisierung führte zu Landflucht und überfüllten Städten.
  • Merkmale der naturalistischen Literatur sind Verwissenschaftlichung, Darstellung des Hässlichen, Milieu und Vererbung sowie die Abbildung der Wahrheit.

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