Alles über die Literaturepoche der Empfindsamkeit (1740–1790)
Vorlesung aus Goethes Werther: Der Briefroman enthält auch Merkmale der Empfindsamkeit. | Foto: gemeinfrei
Die Epoche der Empfindsamkeit
Wenn es um geschichtliche und literarische Epochen geht, bringst du das 18. Jahrhundert wahrscheinlich am ehesten mit der Aufklärung in Verbindung. Sie ist nicht nur für Denker wie Jean-Jacques Rosseau oder Immanuel Kant bekannt. Die Aufklärung ist eng mit einem historischen Ereignis verbunden, das auch für unsere heutige Welt noch immer von großer Bedeutung ist: die Französische Revolution.
Doch auch wenn die Ideen der Aufklärung die damalige Zeit dominierten, entwickelten sich parallel zu ihr andere Strömungen, die ebenfalls wichtig für die deutsche Literaturgeschichte sind. Eine dieser Strömungen ist die Empfindsamkeit. Wir erklären dir, was sich hinter diesem Begriff verbirgt und welche Merkmale typisch für die Literaturepoche der Empfindsamkeit sind.
Inhaltsverzeichnis
"Empfindsamkeit ist sonach die Fähigkeit, leicht zu sanften Empfindungen gerührt zu werden." (Deutsches Wörterbuch, 1776)
Auf einen Blick: Empfindsamkeit
- Zeitraum: 1740–1790
- Einordnung: verläuft parallel zu Aufklärung und Sturm und Drang
- bedeutende Ereignisse: die Französische Revolution
- Merkmale: Gefühlsbetontheit, Frömmigkeit, Naturverbundenheit
- Literatur: Ziel war es, auch die Leserschaft zu rühren.
- Vertreter: Friedrich Gottlieb Klopstock, Matthias Claudius, Ludwig Heinrich Hölty
PDF zum Download
Vielleicht musst du ein Referat zum Thema Empfindsamkeit halten oder willst dich in deiner Facharbeit damit beschäftigen? Wir haben ein paar Themenideen für dich zusammengestellt:
Empfindsamkeit: Definition
Wie der Sturm und Drang so ist auch die Empfindsamkeit eine literarische Strömung, die sich aus der Aufklärung heraus entwickelte. In Deutschland umfasst sie den Zeitraum von 1740 bis 1790. Ihr charakteristisches Merkmal ist die Überhöhung des Gefühls.
Der Begriff der Empfindsamkeit wurde vom deutschen Dichter Gotthold Ephraim Lessing geprägt. Er riet dem Verleger Johann Christoph Bode den Roman "A Sentimental Journey through France and Italy" von Laurence Sterne mit dem Titel "Yoriks empfindsame Reise" zu übersetzen. Das Wort "empfindsam" war damals ein Neologismus, also eine Wortneuschöpfung. Das heißt, den Begriff hatte es bis dahin nicht gegeben. Er verankerte sich erst zu dieser Zeit im deutschen Sprachgebrauch und wurde nachträglich zur Bezeichnung für diese Literaturepoche.
Zeitgeschichtliche Einordnung
Am Beispiel der Empfindsamkeit kannst du sehr anschaulich sehen, dass Epochen niemals unabhängig voneinander verlaufen. Auch enden sie nicht von heute auf morgen, sondern gehen ineinander über und beeinflussen sich gegenseitig: Im 18. Jahrhundert war die Aufklärung (1720–1790) die vorherrschende Epoche. Ab 1765 stellte sich der Sturm und Drang ihren vernunftbetonten Idealen entgegen, ehe die Weimarer Klassik die aufklärerischen Ideen von 1786 bis 1831 wieder aufgriff. Diese wurden von der gefühlsbetonten Welt der Romantik ab 1795 wiederum abgelehnt.
Die Empfindsamkeit verlief zur Zeit von Aufklärung und Sturm und Drang. Während Aufklärung und Sturm und Drang sich als Gegenpole gegenüberstanden, war die Empfindsamkeit beiden Epochen zugewandt. Du kannst sie als Reaktion auf die Dominanz des Rationalismus und Vorläufer des Sturm und Drang verstehen.
Das Weltbild der Aufklärung
Die Empfindsamkeit war durch dieselben gesellschaftlichen und historischen Ereignisse geprägt wie die Aufklärung: Religions- und Bürgerkriege erschütterten Deutschland, das in über 300 souveräne Einzelstaaten zersplittert war. Das Ständesystem bestimmte die gesellschaftliche Ordnung. Gleichzeitig begann der Gedanke des Fortschritts den Absolutismus und die Vormachtstellung des Adels zu hinterfragen. Forderungen nach Toleranz und Gleichheit wurden immer lauter.
Im Sinne der Aufklärung sollte der Mensch sich mithilfe seines Verstandes von seiner Unmündigkeit befreien und sein Recht auf Emanzipation, Bürgerrechte und Bildung einfordern. Der Verstand war das höchste Ideal der Aufklärung, entsprechend rational war der Charakter dieser Epoche. Um die Merkmale der Empfindsamkeit nachvollziehen zu können, solltest du diese wesentlichen Inhalte der Aufklärung im Hinterkopf behalten.
Auf einen Blick
Weitere Literaturepochen
- Barock (1600–1750)
- Aufklärung (1720–1800)
- Sturm und Drang (1765–1790)
- Weimarer Klassik (1786–1831)
- Romantik (1795–1835)
- Biedermeier (1815–1848)
- Vormärz (1815–1848)
- Junges Deutschland (1830–1835)
- Realismus (1848–1890)
- Naturalismus (1880–1900)
- Moderne (1880–1920)
- Impressionismus (1890–1920)
- Symbolismus (1890–1920)
- Expressionismus (1905–1925)
- Neue Sachlichkeit (1918–1933)
- Exilliteratur (1933–1945)
- Trümmerliteratur (1945–1950)
- Nachkriegsliteratur (1945–1990)
- Neue Subjektivität (1970er Jahre)
- Postmoderne Literatur (ca. 1989–2011)
- Gegenwartsliteratur (ab 1990)
Merkmale der Empfindsamkeit
Der Begriff verrät bereits, worum es in der Empfindsamkeit ging: um Gefühle. Das macht sie jedoch keineswegs zum Gegenteil der rationalen Aufklärung. Vielmehr hat sie den aufklärerischen Rationalismus um den Aspekt des Gefühls erweitert und individuelle Empfindungen zum Ideal erhoben. Neben ihrer Gefühlsbetontheit sind eine starke Naturverbundenheit und Frömmigkeit typische Merkmale der Empfindsamkeit.
Die Merkmale im Überblick:
- Gefühlsbetontheit
- Frömmigkeit
- Naturverbundenheit
Betonung des Gefühls
Das intensive Erleben und Empfinden von Gefühlen ist das zentrale Merkmal der Empfindsamkeit. Es äußerte sich in Schwärmerei und einem regelrechten Überschwang an Gefühlen. Typisch sind auch eine sentimental-enthusiastische, von Gefühlen getragene Weltsicht und eine Sensibilität für seelische Vorgänge.
Der Rückzug in Gefühlswelten war für das Bildungsbürgertum eine Flucht vor ihrer gesellschaftlichen und politischen Unterdrückung. Die eigenen Gefühle und der Blick auf das Innere waren den Vertreterinnen und Vertretern dieser Strömung so wichtig, dass das Gefühl ihr Maßstab für Handlungen und Persönlichkeit war. Gefühle waren menschlich und sollten nicht länger versteckt werden. Typisch sind deshalb Motive wie Lebensgenuss, Freundschaft, das Beobachten seelischer Regungen und die Ergriffenheit in Hinblick auf Anmut und Tugend.
Typische Gefühle der Empfindsamkeit:
- Freundschaft
- Nächstenliebe
- Geschwisterliebe
- Naturliebe
- Trauer
Wie du siehst, handelt es sich dabei um Gefühle, denen eine gewisse Rührseligkeit und Ergriffenheit zugrunde liegt. Temperamentvolle, negative Gefühlsregungen wie Zorn, Raserei oder Begierde zählten nicht zu den Idealen der Empfindsamkeit.
Frömmigkeit
Frömmigkeit ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt der Empfindsamkeit. Das liegt daran, dass sie vom sogenannten Pietismus beeinflusst war. Der Pietismus war eine religiöse Bewegung innerhalb des deutschen Protestantismus und richtete sich gegen den Dogmatismus der Kirche. Diese hielt starr an ihren Anschauungen und Lehrmeinungen fest und verweigerte sich dem Fortschrittsdenken der damaligen Zeit.
Dem Pietismus ging es um eine subjektive Wahrnehmung des Göttlichen. Der Mensch sollte selbst einen Zugang zur Religiosität finden und nicht bloß den Lehren der Bibel folgen. Die Pietisten setzten auf eine persönliche, gefühlsbetonte Frömmigkeit. Die Idee einer individuellen, subjektiven Frömmigkeit findest du auch in der Empfindsamkeit.
Naturverbundenheit
Im Zusammenhang mit der Betonung subjektiver Gefühle war in der Empfindsamkeit auch das Entdecken und Erleben der Natur von Bedeutung. Die Natur war ein Raum, der individuelles Erleben und Empfinden sowie eine Rückkehr in sich selbst ermöglichte. Gleichzeitig weckte sie jene sentimental-schwärmerischen Gefühle, die die Vertreter und Vertreterinnen so verehrten. Ein Beispiel dafür ist das Gedicht "Abendlied" von Matthias Claudius aus dem Jahr 1779. Es beschreibt den Wald bei Nacht. Du kennst es wahrscheinlich als Schlaflied "Der Mond ist aufgegangen":
Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus den Wiesen steiget
Der weisse Nebel wunderbar.
Unterschiede zu Aufklärung und Sturm und Drang
Die Empfindsamkeit verlief zeitgleich zu Aufklärung und Sturm und Drang. Sie weist Bezugspunkte zu beiden Epochen auf, lässt sich aber auch recht leicht von ihnen unterscheiden: Der Sturm und Drang war eine Gegenbewegung zur Aufklärung. Dem Verstand, dem höchsten aufklärerischen Ideal, setzten die Stürmer und Dränger Gefühl und Fantasie entgegen, wie du in vielen Sturm und Drang Gedichten sehen kannst. Auch die Empfindsamkeit betonte das Gefühlvolle. Anders als der Sturm und Drang war sie aber keine Protestbewegung gegen die Aufklärung, sondern ergänzten die rationalen Ideen dieser Epoche um das Empfindsame und Sentimentale. Sie begriff Gefühle nicht als Makel, sondern als Möglichkeit der Persönlichkeitsentwicklung. Der Sturm und Drang steigerte die Überhöhung des Gefühls, wie es in der Empfindsamkeit stattfand, in einen regelrechten Gefühlsrausch und ist somit extremer und leidenschaftlicher als die Empfindsamkeit.
Aufklärung (1720–1800)
- Die Vernunft als Ideal
- Glaube an den Fortschritt
- Forderung nach Gleichberechtigung
- geistige Emanzipation
- Rationalismus
- Naturwissenschaften sind wichtig.
Empfindsamkeit (1740–1790)
- Empfindsamkeit als Ideal
- Gefühl ist kein Makel
- sentimental und rührselig
- Frömmigkeit
- Naturverbundenheit
- keine Gegenbewegung zur Aufklärung, sondern eine Ergänzung
Sturm und Drang (1765–1790)
- Gefühle als Ideal
- rauschhaft und leidenschaftlich
- Geniekult
- tragisches Heldentum
- Kritik am Feudalismus
- Gegenbewegung zur Aufklärung
Literatur der Empfindsamkeit
Die Autoren und Autorinnen der Empfindsamkeit waren junge Akademiker aus dem Bildungsbürgertum. Ihre Texte sind durch Schwärmerei und Überschwang gekennzeichnet. Um die inneren Empfindungen nach außen zu kehren, nutzten sie literarische Formen, mit denen sich Gefühle detailliert und nuancenreich darstellen ließen. Ziel war es, auch die Leserschaft zu rühren.
Lyrik
Die literarische Gattung der Lyrik eignet sich durch ihre sprachlichen und formalen Besonderheiten sehr gut dazu, Empfindungen überschwänglich zum Ausdruck zu bringen. So ermöglicht sie einen dichten Einsatz von rhetorischen Mitteln. Auch durch Gestaltungsmittel wie Metrum und Reimschema lassen sich Gefühle kunstvoll ausschmücken.
In der Empfindsamkeit waren besonders Oden, Hymnen, Elegien und Idyllen beliebt – alles Gedichtformen, die in sich schon auf Überschwang angelegt sind. Gefühle stehen im Mittelpunkt. Entsprechend zeigt das empfindsame lyrische Ich starke Gefühlsregungen und offenbart oftmals sein Seelenleben. Häufig findest du in Gedichten der Empfindsamkeit Ausrufe wie "Oh" und "Ah". Das wichtigste Gedicht der Empfindsamkeit ist das Heldengedicht "Messias" von Friedrich Gottlieb Klopstock. Wegen seiner sprachlichen und formalen Gestaltung hatte es einen großen Einfluss auf die zeitgenössischen Dichterinnen und Dichter.
Epik
In der Epik dominierten vor allem Briefroman, Reiseberichte und andere Erlebnisberichte, da sie es ermöglichten, individuelle Empfindungen ausufernd darzustellen. Einen Höhepunkt stellt in diesem Zusammenhang Goethes Briefroman "Die Leiden des Jungen Werther" dar. Es ist nicht nur das wichtigste Werk des Sturm und Drang. Die Schilderung von Werthers tiefsten Empfindungen entspricht auch den Ideen der Empfindsamkeit.
Dramatik
In der Dramatik verdrängte das Empfindsame das Komödiantische, etwa durch weinerliche Lustspiele oder Rührstücke. Das waren Stücke, die Zuschauer zu Tränen rühren sollten. Außerdem gewann das bürgerliche Trauerspiel an Bedeutung. Wichtige Dramatiker waren August von Kotzebue und August Wilhelm Iffland.
Wichtige Autoren /-innen und Werke
Autor /-in | lebte von | bekannte Werke |
---|---|---|
Friedrich Gottlieb Klopstock | 1724–1803 | "Messias" oder "Die frühen Gräber" |
Sophie von La Roche | 1730–1807 | "Die Geschichte des Fräuleins von Sternheim" |
Matthias Claudius | 1740–1815 | "Abendlied" |
Ludwig Heinrich Hölty | 1748–1776 | "Gedichte" |
FAQ: Häufige Fragen zur Empfindsamkeit
Die Empfindsamkeit im Überblick:
- Die Empfindsamkeit ist eine literarische Strömung zur Zeit der Aufklärung.
- Sie setzte dem Rationalismus der Aufklärung das Gefühl entgegen.
- Die Empfindsamkeit ist sehr gefühlsbetont, sentimental, naturverbunden und fromm.
- Es gab einen richtigen Freundschaftskult.
- Die Gefühlsschwärmerei der Empfindsamkeit ist der Vorläufer zum leidenschaftlicheren Sturm und Drang.
Das könnte dich auch interessieren
Du weißt jetzt, was für die Epoche der Empfindsamkeit typisch ist. Wichtig ist, dass du dieses Wissen in deiner Interpretation anwenden kannst. Wie das geht, liest du hier.
Gedichtanalyse: So sind Gedichte kein Problem mehr!
Jetzt lesenEine Interpretation schreiben: So gehst du es an
Jetzt lesenSo schreibst du einen Gedichtvergleich
Jetzt lesenArtikel-Bewertung:
Anzahl Bewertungen: 869