So analysierst du Expressionismus Gedichte
Expressionismus Gedichte sind sprachlich genauso bunt und experimentell wie die Kunst dieser Zeit. | Foto: Wassily Kandinsky / gemeinfrei
Expressionismus Gedichte: auf der Suche nach dem Sinn
Eckige, abstrakte Formen, großflächig verteilte Farben wie aus einem Pinselschwung und simple Darstellungen – selbst wenn du keine Ahnung von Kunst hast, kommen dir beim Stichwort "Expressionismus" wahrscheinlich direkt die oft schon plakativ bunten Gemälde dieser Epoche in den Sinn. Expressionistische Künstler und Künstlerinnen wollten im Gedächtnis bleiben. Das verrät dir schon die Epochenbezeichnung. Die leitet sich nämlich vom lateinischen Ausdruck "exprimere" ab, was so viel wie "ausdrücken" bedeutet. Und genau darum ging es den Expressionisten /-innen: durch neue Darstellungsformen Emotionen und subjektive Wahrnehmungen zum Ausdruck bringen. Das gilt nicht nur für die Kunst, sondern auch für die Literatur. Wie genau du Expressionismus Gedichte analysierst und auf welche Merkmale du unbedingt achten solltest, haben wir dir hier zusammengestellt, denn: Expressionismus Gedichte sind ein beliebtes Thema für Deutsch im Abitur.
"Vom Schatten eines Hauchs geboren, wir wandeln in Verlassenheit und sind im Ewigen verloren, gleich Opfern unwissend, wozu sie geweiht." (Georg Trakl, 1887-1914)
Expressionismus Gedichte: Was du wissen solltest
Wenn du im Deutschunterricht ein Gedicht analysieren sollst, ist es für deine Interpretation von zentraler Bedeutung, dass du das Werk einer bestimmten Epoche zuordnen kannst. Dabei genügt es jedoch nicht zu sagen: "Das ist ein Gedicht aus der Weimarer Klassik oder ein Gedicht aus der Literaturepoche des Sturm und Drang." Vielmehr musst du in der Lage sein, das Gedicht in seinen zeitgeschichtlichen Kontext einzubetten. Das bedeutet für dich: Du solltest wissen, was zu dieser Zeit passiert ist, was die zentralen Ideen und Motive der Epoche waren und wie die Menschen damals dachten. Nur so ist eine vollständige Gedichtanalyse möglich.
Expressionismus Gedichte zu erkennen, ist vergleichsweise einfach. Denn wie der Name schon sagt, sind sie sehr expressionistisch, also ausdrucksstark. Das bedeutet, dass ihre Merkmale und Motive sehr eindeutig hervortreten. Anders als etwa in Barock Gedichten oder bei der Analyse von Romantik Gedichten musst du dich hier auch nicht mit einer veralteten oder gar schwülstigen Sprache herumschlagen. Dafür geht es zuweilen sehr experimentell zu. Damit du die Lyrik dieser Zeit analysieren kannst, benötigst du
- Hintergrundwissen über den zeitgeschichtlichen Kontext,
- Kenntnisse über die spezifischen Themen, Motive und Stilmittel der Epoche sowie
- Basiswissen über andere Epochen, damit du sie einordnen und voneinander abgrenzen kannst.
Übrigens: Diese Grundlagen sind nicht bloß auf die Interpretation von Gedichten beschränkt. Sie gelten auch, wenn du Kurzgeschichten interpretierst oder einen Dramentext bearbeitest, denn Literatur ist immer ein Spiegel ihrer Zeit und muss im zeitgeschichtlichen Kontext verstanden und analysiert werden. Das gilt für alle literarischen Gattungen.
Über die Epoche
Die Epoche des Expressionismus umfasst einen Zeitraum von 1905 bis 1925. Zeitlich überschneidet sie sich mit dem Symbolismus (1890-1920) und der Moderne (1880-1920). Außerdem steht sie in enger Verbindung zum Impressionismus (1890-1920). Ihm ging es darum, den Moment in der Realität möglichst genau wiederzugeben. Der Expressionismus hingegen wollte Sinneseindrücke zum Ausdruck bringen und entwarf so ein überzeichnetes Bild der Wirklichkeit. Ihnen gemein ist, dass sich sowohl Impressionismus als auch Expressionismus gegen den Naturalismus (1880-1900) wandten. Er wurde als kalt und unästhetisch abgelehnt. Statt wie der Naturalismus die Wirklichkeit eins zu eins abzubilden, wollten die Expressionisten /-innen die eigenen Gefühle und Empfindungen in den Vordergrund stellen.
Wusstest du, dass...
… der Expressionismus auch der Moderne zugeordnet wird? Sie war von zahlreichen literarischen Strömungen geprägt und gilt als die Zeit der "-Ismen": Neben Symbolismus, Impressionismus und Expressionismus entwickelten sich in dieser Zeit auch Dadaismus, Ästhetizismus oder Dekadentismus. Sie alle brechen mit bisher Dagewesenen und sind in der Literaturgeschichte etwas völlig Neues und Einzigartiges.
Die auf den Expressionismus folgende Epoche ist die Neue Sachlichkeit (1918-1933). Sie war, wie der Name sagt, sachlich. Ihr ging es darum, ein beobachtendes Bild von Gesellschaft und Politik zu zeichnen. Damit hat sie eine ganz andere Ausrichtung als der Expressionismus. Das zeigt dir, wie unterschiedlich das Denken in verschiedenen Epochen sein kann, auch wenn diese zeitlich gar nicht weit auseinander liegen, ineinander übergehen oder sogar parallel verlaufen.
Einteilung der Epoche
Die Epoche des Expressionismus lässt sich in zwei Phasen unterteilen:
Phase | Zeitraum |
---|---|
Frühexpressionismus | 1905-1914 |
Expressionismus | 1914-1925 |
Wenn du dir ansiehst, wann der Frühexpressionismus endet, fällt dir sicher das große und weltverändernde Ereignis ein, das für diesen Bruch verantwortlich ist: der Erste Weltkrieg (1914-1918). Er markiert in der Epoche einen massiven Einschnitt. Eine andere Einteilung, die du deshalb finden kannst, ist die in:
Phase | Zeitraum |
---|---|
Frühexpressionismus | 1905-1914 |
Kriegsexpressionismus | 1914-1918 |
Spätexpressionismus | 1918-1925 |
Zeitgeschichtlicher Kontext
Du kannst den Expressionismus als Antwort auf die vielfältigen Veränderungen seiner Zeit verstehen. Denn davon gab es auf gesellschaftlicher wie politischer Ebene einige. Folgende Ereignisse haben die Epoche und damit das Lebensgefühl der Menschen und ihr Weltbild geprägt:
- Industrialisierung und Urbanisierung
- Erster Weltkrieg
- Ende des Kaiserreichs
- Beginn der Weimarer Republik
Industrialisierung und Urbanisierung
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts veränderten sich Leben und Alltag der Menschen grundlegend. Das lag am technischen Fortschritt und der damit einhergehenden Industrialisierung. Zu den wichtigsten Fortschritten dieser Zeit gehören:
- Verkehr (Straßenbahnen, Autos und Autobusse)
- fließendes Wasser
- elektrisches Licht
- Telefonie und Telegraphie
- Fotografie, Film und Schallplatte
Diese enormen Neuerungen führten zur Urbanisierung, also Verstädterung. Das bedeutet, dass die Menschen in die Stadt zogen, weil es dort Arbeit gab und man auf ein besseres Leben hoffte. Während sich also eine moderne Industriegesellschaft entwickelte, in der die Landwirtschaft an Bedeutung verlor, behielt jedoch das Bürgertum seine alten Wertvorstellungen bei. Du kannst dir diese Zeit somit als enormes Spannungsfeld vorstellen, in dem die konservativen Wertvorstellungen des gut gestellten Bürgertums auf die zunehmende Sozialkritik der in Unsicherheit lebenden Arbeiterklasse prallte. Denn diese war oft prekären Arbeits- und Wohnbedingungen ausgesetzt. Eine Klassengesellschaft entstand. Mit der Gründung von Gewerkschaften und sozialdemokratischen Parteien versuchte die Arbeiterschaft für ihre Rechte einzutreten. Ebenso tat das die Frauenrechtsbewegung – 1918 wurde in der neu gegründeten Weimarer Republik das Frauenwahlrecht eingeführt.
Alle Literaturepochen im Überblick
- Barock (1600–1750)
- Aufklärung (1720–1800)
- Empfindsamkeit (1740–1790)
- Sturm und Drang (1765–1790)
- Weimarer Klassik (1786–1831)
- Romantik (1795–1835)
- Biedermeier (1815–1848)
- Vormärz (1815–1848)
- Junges Deutschland (1830–1835)
- Realismus (1848–1890)
- Naturalismus (1880–1900)
- Moderne (1880–1920)
- Impressionismus (1890–1920)
- Symbolismus (1890–1920)
- Expressionismus (1905–1925)
- Neue Sachlichkeit (1918–1933)
- Exilliteratur (1933–1945)
- Trümmerliteratur (1945–1950)
- Nachkriegsliteratur (1945–1990)
- Neue Subjektivität (1970er Jahre)
- Postmoderne Literatur (ca. 1989–2011)
- Gegenwartsliteratur (ab 1990)
Der Erste Weltkrieg
Am 28. Juni 1914 tötete ein Nationalist in Sarajevo den Thronfolger des österreichisch-ungarischen Riesenreiches sowie seine Frau und stürzte die Welt in das, was als "Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts" bezeichnet wird. Denn dieses Attentat auf Franz Ferdinand und die Herzogin Sophie Chotek gilt als Auslöser des Ersten Weltkrieges, der wiederum den Weg bereitete für ein Jahrhundert voller Krieg und Gewalt.
Als Wien nach dem Attentat auf einen schnellen Vergeltungsschlag drängte, sicherte das Deutsche Reich der Donaumonarchie Österreich-Ungarn uneingeschränkte Bündnistreue zu. Im deutschen Kaiserreich nahm man den Kriegsbeginn sogar mit Begeisterung auf, da man überzeugt war, schnell gewinnen und den Krieg für sich entscheiden zu können. Dies stellte sich jedoch schon bald als fatale Fehleinschätzung heraus. Denn weil sich die gegnerischen Parteien in Schützengräben verschanzten, entwickelte sich ein langwieriger Kriegsverlauf, der erst am 11. November 1918 mit der deutschen Kapitulation endete. Vier Kriegsjahre hatten fast zehn Millionen Soldaten das Leben gekostet, 20 Millionen waren verwundet worden. Die Anzahl der zivilen Opfer lag bei schätzungsweise sieben Millionen. Damit war dieser Krieg verheerender als alle bisherigen. Das liegt daran, dass erstmals moderne Waffen wie Granaten, Maschinengewehre und Giftgas zum Einsatz kamen. Ihre Wirkung war ebenso vernichtend wie traumatisierend. Das Kriegstrauma wirkte in der Bevölkerung lange nach.
Das Ende des Kaiserreichs
Nach anfänglicher Kriegseuphorie folgte in Deutschland die Kriegsmüdigkeit. Streiks, Meutereien und innenpolitischer Widerstand führten dazu, dass der deutsche Kaiser Wilhelm II. nach Holland ins Exil floh. Sein Reichskanzler Prinz Max von Baden verkündete am 9. November 1918 die Abdankung des Kaisers und damit das Ende der Monarchie. Der Sozialdemokrat Friedrich Ebert wurde neuer Reichskanzler mit den Worten: "Es ist ein schweres Amt, aber ich werde es übernehmen." Wie richtig er mit dieser Einschätzung lag, zeigten die Folgejahre.
Beginn der Weimarer Republik
Im Jahr 1919 wurde in Weimar die erste deutsche Republik, die Weimarer Republik, ausgerufen. Gleichzeitig verpflichtete die Unterzeichnung des Versailler Vertrags am 28. Juni 1919 zu Gebietsabtretungen und Reparationszahlungen. Er wies Deutschland die alleinige Schuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu. Dies wurde als ebenso demütigend empfunden wie die Kapitulation. Auch die weiteren Folgen des Krieges – Hunger, Krankheiten, Wohnungsnot und eine hohe Arbeitslosigkeit – waren allgegenwärtig. Die Menschen mussten Lebensmittelmarken einlösen, um rationierte Nahrung zu erhalten und dafür sehr lange anstehen. Durch die hohe Inflation waren Eier, Milch und Gemüse Luxusartikel, die sich kaum jemand leisten konnte. Täglich verhungerten Menschen auf den Straßen, wo verkrüppelte Kriegsheimkehrer bettelten.
Unter diesen Voraussetzungen hatte die Republik einen schweren Stand. Viele Menschen wünschten sich die Monarchie zurück, denn sie sahen nicht, dass die Republik irgendetwas zum Guten veränderte. Rechte und linke Extremisten /-innen sorgten für immer neue Unruhen und Aufstände. Erst 1924 folgte eine kurze Phase der Stabilität und das, was als die Goldenen Zwanziger Jahre bezeichnet wird. Die Epoche des Expressionismus wird zu dieser Zeit von der Neuen Sachlichkeit abgelöst.
Themen des Expressionismus
Aus diesen zeitgeschichtlichen Ereignissen ergeben sich typische Themen, die in der Literatur verarbeitet wurden und die du in Expressionismus Gedichten finden kannst. Diese Themen sind:
- Großstadt
- Orientierungslosigkeit und Isolation
- Verlust des Individuums
- Krieg
- Das Ende der Welt
- Erneuerung
Großstadt
Die Großstadt ist eines der wichtigsten Motive des Expressionismus. Großstadtlyrik kennst du wahrscheinlich schon aus der Unterstufe. Der Grund, warum dieses Thema in der expressionistischen Literatur so präsent war, liegt an der Urbanisierung. Die rasante Vergrößerung der Städte überforderte die Menschen. Reizüberflutung, Orientierungslosigkeit und die Isolation in der Anonymität der Großstadt sind daher weitere Motive, die eng mit dem Thema Großstadt zusammenhängen.
Ein anschauliches Beispiel für ein expressionistisches Großstadtgedicht ist das Gedicht "Städter" von Alfred Wolfenstein aus dem Jahr 1914:
Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.
Ineinander dicht hineingehakt
Sitzen in den Trams die zwei Fassaden
Leute, wo die Blicke eng ausladen
Und Begierde ineinander ragt.
Unsre Wände sind so dünn wie Haut,
Daß ein jeder teilnimmt, wenn ich weine.
Flüstern dringt hinüber wie Gegröhle:
Und wie stumm in abgeschlossner Höhle
Unberührt und ungeschaut
Steht doch jeder fern und fühlt: alleine.
In diesem Gedicht thematisiert der Autor, was der Expressionismus mit der Großstadt in Verbindung bringt: Enge, Lärm, Anonymität, Fremde, Isolation und Einsamkeit.
Problematisch war zudem die dort herrschende Massenarmut. Hier sprach man vom "Pauperismus", also der Verelendung großer Bevölkerungsteile. Sie schildert beispielsweise Georg Heym in seinem Gedicht "Berlin II" von 1911:
[...]
Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein,
die Toten schaun den roten Untergang
aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein.
Sie sitzen strickend an der Wand entlang,
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.
Tipp
Großstadtlyrik
Das Leben in der Großstadt prägt die Menschen und beeinflusst ihren Alltag. Diese Erfahrungen verarbeiten Autoren /-innen in Gedichten, der sogenannten Großstadtlyrik. Hier erfährst du, was diese Gedichte ausmacht und wie du sie interpretieren kannst.
Orientierungslosigkeit und Isolation
Wie du gesehen hast, ist dieses Motiv eng mit dem Motiv der Großstadt verknüpft: Trotz überfüllten Städten waren die Menschen einsam und auf sich gestellt. Anders als beim Leben auf dem Land, das sie bisher gekannt hatten, kannte man hier manchmal nicht mal den/die eigene /-n Nachbarn /-in. In der großen Stadt fanden sie sich nur schwer zurecht.
Orientierungslos waren sie aber auch deshalb, weil sich so viele Veränderungen vollzogen und sie ihren Alltag grundlegend neu ordnen mussten. Während der Kriegsjahre wussten die Menschen nicht, wohin der Krieg führen sollte und wann er enden würde. Und nach Ende des Ersten Weltkrieges sahen sie, traumatisiert vom Krieg und seinen Folgen (Hunger und Armut), nicht, dass etwas besser werden könnte.
Verlust des Individuums
Ein weiteres großes Thema in expressionistischer Lyrik ist der Ich-Verlust. Durch die Abwanderung der Landbevölkerung in die Städte ging der Mensch nun in der Masse unter. Wo es auf dem Land Austausch und Kontakt gegeben und man die Menschen in seiner näheren Umgebung gekannt hatte, war man hier ein /-e Fremde /-r unter vielen. Durch die Industrialisierung und Massenproduktion fühlten sich viele Menschen zudem nur noch auf ihre Arbeitskraft reduziert, das Ich mit seinen Empfindungen und Bedürfnissen spielte im langen und harten Arbeitsalltag keine Rolle.
Die eigene Orientierungslosigkeit nährte ebenfalls die Angst vor dem Identitätsverlust. Auch deshalb betonten die Dichter /-innen in ihren Werken die Subjektivität, indem sie ausdrucksstark die eigenen Gefühle und Eindrücke schilderten.
Krieg
Natürlich war auch der Erste Weltkrieg ein großes Thema in der expressionistischen Lyrik. Betrachtete man ihn zunächst noch als großen Neuanfang, verarbeitete man bald Traumata und Tod. Ein Beispiel für ein expressionistisches Kriegsgedicht ist "Grodek" von Georg Trakl aus dem Jahr 1914:
Am Abend tönen die herbstlichen Wälder
Von tödlichen Waffen, die goldnen Ebenen
Und blauen Seen, darüber die Sonne
Düstrer hinrollt; umfängt die Nacht
Sterbende Krieger, die wilde Klage
Ihrer zerbrochenen Münder.
Doch stille sammelt im Weidengrund
Rotes Gewölk, darin ein zürnender Gott wohnt
Das vergoßne Blut sich, mondne Kühle;
Alle Straßen münden in schwarze Verwesung.
Unter goldnem Gezweig der Nacht und Sternen
Es schwankt der Schwester Schatten durch den schweigenden Hain,
Zu grüßen die Geister der Helden, die blutenden Häupter;
Und leise tönen im Rohr die dunkeln Flöten des Herbstes.
O stolzere Trauert ihr ehernen Altäre
Die heiße Flamme des Geistes nährt heute ein gewaltiger Schmerz,
Die ungebornen Enkel.
Trakl verarbeitet in diesem Gedicht seine eigene Kriegserfahrung. Er wurde als Reservist eingezogen und diente für das österreichische Heer als Medikamentenakzessist in Grodek, in der heutigen Ukraine. Dort hatte er während einer Schlacht 90 Schwerverletzte seiner Divison in einer Scheune zu versorgen, was ihn so überforderte, dass er zusammenbrach.
Das Ende der Welt
Man könnte meinen, dass all die Neuerungen, die die Industrialisierung und der technische Fortschritt während dieser Zeit mit sich brachten, in den Menschen Aufbruchstimmung ausgelöst hätten. Denn tatsächlich war vor allem unter den jungen Gebildeten zur Zeit des Frühexpressionismus der Wunsch nach einer besseren Welt sehr ausgeprägt. Sie lehnten die konservative, erstarrte Denkweise des Bürgertums ab, die die Veränderungen ignorierten. Doch aus den Veränderungen gingen vor allem Armut, soziale Ungleichheit und ein Krieg mit traumatischen Folgen hervor. Statt an eine hoffnungsfrohe Zukunft glaubten die Menschen, dass ihnen das Ende der Welt bevorstehe.
Dieses Denken spiegelt sich auch in den Gedichten dieser Zeit wider, zuweilen auch als Gesellschaftskritik. So zogen einige Dichter die hysterische Angst vor dem Weltuntergang ins Lächerliche, etwa Jakob van Hoddis in "Weltende" (1911):
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei,
Und an den Küsten - liest man - steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
Erneuerung
Der Glaube an Erneuerung wurde vor allem von der jungen Generation getragen. Sie brach mit den alten Regeln und Wertvorstellungen des Kaiserreichs und rebellierte gegen den Konservatismus. Dies äußert sich nicht nur in der inhaltlichen, sondern vor allem auch in der formalen Gestaltung der Gedichte. Diese brachen nämlich ebenfalls mit dem, was als "typisch Gedicht" verstanden wurde. So entwickelten sich völlig neue Darstellungsformen.
Sprachliche Merkmale
Die in der Literatur verwendete Sprache unterscheidet sich deutlich von der anderer Epochen. Die Dichter /-innen experimentierten mit der Sprache und wollten bewusst etwas Neues schaffen, um sich von den vorherigen Generationen und insbesondere von dem Naturalismus abzugrenzen. Es ging darum, sich von Formzwängen zu befreien und experimentell mit der Sprache zu spielen.
In Expressionismus Gedichten begegnen dir daher folgende sprachliche Merkmale:
- Grammatik und Zeichensetzung werden missachtet, um sich von Normen abzuwenden, aber auch, um auf eine fehlende Ordnung und Orientierungslosigkeit hinzuweisen.
- abgehackter Sprachstil und neuer Rhythmus, der Lärm und Chaos widerspiegelte
- ausdrucksstarke, metaphorische Sprache
- weitgehender Verzicht auf Metrum, Reimschema, feste Gedicht- oder Strophenformen
- sprachliche Stilmittel: Wortneuschöpfungen (Neologismen), Ellipsen, Enjambements, Personifikationen, Metaphern, Übertreibungen und Ironie
Darüber hinaus bedienten sich die Autoren und Autorinnen dem Mittel der Intermedialität, das heißt, sie nutzten verschiedene neue Medien und Darstellungsformen und kombinierten mehrere Medien miteinander, etwa Bild und Schrift.
Ein Beispiel, das dir zeigt, wie sehr sich Expressionismus Gedichte von der Lyrik anderer Epochen unterscheiden und wie experimentell sie waren, ist das Gedicht "Hymne" von Jakob van Hoddis:
O Traum, Verdauung meiner Seele!
Elendes "combination" womit ich vor Frost mich schütze
Zerstörer aller Dinge die mir Feind sind;
aller Nachttöpfe,Kochlöffel und Litfaßsäulen...
O du mein Schießgewehr!
In purpurne Finsternis tauchst du die Tage
Alle Nächte bekommen violette Horizont
Meine Großmama Pauline erscheint als Astralleib.
Und sogar ein Sanitätsrat
Ein braver, aber etwas zu gebildeter
Sanitätsrat
Wird mir wieder amüsant.
Er taucht auf aus seiner efeuumwobenen Ruhestätte
War es nicht soeben ein himmelblauer Ofenschirm?
[He, Sie da!]
Und gackt: "Sogar - - -"
(Frei frei nach Friedrich von Schiller.)
O Traum, Verdauung meiner Seele
O du mein Schießgewehr!
Gick! Gack!.
An diesem Gedicht siehst du, wie der Verfasser den Syntax, also Satzbau, aufgebrochen hat, und Zeichen nur dort setzt, wo er etwas Bestimmtes zum Ausdruck bringen möchte. Außerdem gibt es kein Reimschema, der Sprachstil ist abgehackt und entwickelt seinen ganz eigenen Rhythmus. Durch Lautmalereien ("Gick! Gack!") und Einschübe wie "He, Sie da!" oder "Frei frei nach Friedrich von Schiller" schafft van Hoddins eine völlig neue Gedichtsstruktur. Dieser Bruch mit dem Konventionellen wirkt unverständlich und in diesem Fall sogar absurd.
Die Ästhetik des Hässlichen
Den expressionistischen Lyrikern /-innen ging es nicht darum, die Schönheit zu huldigen. Vielmehr setzten sie auf eine Ästhetisierung des Hässlichen. Die beschriebenen Sinneseindrücke sollte unangenehm, abstoßend und eklig sein. Beispielhaft konntest du das bereits in dem oben zitierten Gedicht "Städter" von Alfred Wolfenstein sehen:
Dicht wie Löcher eines Siebes stehn
Fenster beieinander, drängend fassen
Häuser sich so dicht an, daß die Straßen
Grau geschwollen wie Gewürgte stehn.
[..]
Der Arzt und Dichter Gottfried Benn ging noch weiter und brachte die Abscheu vor dem Menschen zum Ausdruck. Dazu verfasste er morbide Gedichte, in denen er beispielsweise eine Leichensezierung bis ins kleinste ungeschönte Detail beschrieb. Damit empörte er nicht nur seine Zeitgenossen. Auch heute noch empfinden Viele diese Gedichte als abstoßend.
Gedichte des Expressionismus
Die Lyrik war die bevorzugte literarische Gattung der Expressionisten. Das hatte einen ganz einfachen Grund: In Gedichten konnten sie am deutlichsten mit traditionellen Strukturen brechen, etwa durch den Verzicht auf eine feste Strophenform, Metren oder Reime sowie das Auslassen von Satzzeichen oder einen Bruch im Syntax durch Ellipsen oder einen kurzen, telegrammartigen Stil. Darüber hinaus bietet die Lyrik die Möglichkeit, Inhalte ausdrucksstark zu gestalten. Und genau das wollten die Expressionisten /-innen mit ihren subjektiven Wahrnehmungen und Gefühlen ja auch. Aus diesem Grund findest du in expressionistischen Gedichten auch so viele sprachliche Stilmittel.
Bekannte Expressionismus Gedichte
Die Autoren /-innen des Expressionismus waren eine junge Generation, die gegen die Elterngeneration mit ihren veralteten Werten sowie den Lebensstil des Bürgertums aufbegehrte. Sie stammten oft aus der bürgerlich-gebildeten Schicht, viele von ihnen lebten in Berlin. Die gesellschaftlichen und politischen Zustände sahen sie kritisch.
Bekannte Gedichte und Autoren /-innen des Expressionismus:
Wusstest du, dass...
… Else Lasker-Schüler eine besondere Vertreterin des Expressionismus ist? In einer von Männern dominierten Literatur kommt ihr eine einzigartige Rolle zu. Sie verfasste Lyrik, Prosa und Dramen und inspirierte damit andere Expressionisten. Eine tiefe Freundschaft verband sie mit Gottfried Benn, der sie sehr bewunderte.
Gedicht | Autor /-in | lebte von |
---|---|---|
"Morgue und andere Gedichte" (Gedichtband) | Gottfried Benn | 1886-1956 |
"Die schöne Stadt" und "Grodek" | Georg Trakl | 1887-1914 |
"Der Gott der Stadt" und "Berlin VIII" | Georg Heym | 1887-1912 |
"Weltflucht" und "Weltende" | Else Lasker-Schüler | 1869-1945 |
"Weltende" und "Die Stadt" | Jakob van Hoddis | 1887-1942 |
Expressionismus Gedichte interpretieren
Wenn du mit dem zeitgeschichtlichen Kontext und den Merkmalen des Expressionismus vertraut bist, verfügst du über das nötige Hintergrundwissen für die Analyse von Expressionismus Gedichten. Im nächsten Schritt heißt es nun
- das Gedicht lesen und dir inhaltliche und formale Besonderheiten markieren.
- eine Gedichtanalyse verfassen.
Schritt 1: Lesen und Besonderheiten markieren
Es ist soweit, du sitzt vor deiner Deutschklausur und es heißt: Interpretiere das vorliegende Gedicht, indem du es in seinen zeitgeschichtlichen Kontext einordnest. Der erste Schritt heißt: lesen. Das solltest du mehrmals tun und dir dabei auch direkt spontane Gedanken und Auffälligkeiten unterstreichen und notieren. Das können
- epochentypische Merkmale, Motive und Themen,
- Hinweise auf den zeitgeschichtlichen Kontext,
- sprachliche Besonderheiten wie rhetorische Mittel oder
- formale Auffälligkeiten wie Reimschema, Metrum, Kadenz,Verslänge oder Interpunktion sein.
So erarbeitest du dir eine Grundlage, auf der du deine Analyse aufbauen kannst. Natürlich kann und muss diese Art der Vorarbeit niemals vollständig sein. Es geht lediglich darum, dass du wichtige Gedanken und Assoziationen festhältst und darauf dann während des Schreibens zurückgreifen kannst. Außerdem sind gerade erste Eindrücke hilfreich, weil sich daraus im Laufe der Analyse weitere Ideen und Interpretationsansätze ergeben.
Schritt 2: Die Analyse schreiben
Das Instrument zum Umgang mit Gedichten ist die Gedichtanalyse. Mit Einleitung, Hauptteil und Schluss folgt sie einem eindeutigen Aufbau, der dir vorgibt, wo du welchen Aspekt unterbringen musst. Hier nochmal ein kurzer Überblick zur Erinnerung:
- Einleitung: Titel, Textsorte, Autor, Erscheinungsjahr und Thema – diese Punkte müssen in jeder Einleitung stehen. Du kannst sie meist in ein bis zwei Sätzen formulieren, zum Beispiel: Bei dem Gedicht "Städter" von Alfred Wolfenstein handelt es sich um ein expressionistisches Großstadtgedicht. Es thematisiert die abstoßenden Seiten der Urbanisierung: Enge, Lärm und Schmutz.
- Hauptteil: Hier beginnst du mit einer kurzen Inhaltsangabe. Dann gehst du auf die formalen Gegebenheiten ein, wie Anzahl der Strophen und Verse, Versmaß und Reimschema. Es folgt die eigentliche Analyse: Du suchst nach epochentypischen Merkmalen und rhetorischen Mitteln, interpretierst diese und setzt Form und Inhalt in Bezug zueinander und in Bezug zur Epoche selbst.
- Schlussteil: Hier fasst du kurz deine wichtigsten Erkenntnisse zusammen, formulierst die Aussage des Gedichts und bewertest diese in Hinblick auf die Epoche.
In der Analyse geht es darum, alles zusammenzubringen: den formalen Aufbau, die Interpretation des Gedichtes sowie dein Wissen über die Epoche des Expressionismus. Zu wissen, wie die Menschen dachten und fühlten und welche Ereignisse sie beschäftigt haben, ist dabei eine enorme Hilfe. In welchen Merkmalen und Themen sich das auf literarischer Ebene geäußert hat, kannst du auswendig lernen. So bist du mit allem ausgerüstet, was du für eine detaillierte Interpretation benötigst.
Tipps für deine Interpretation
Ein Gedicht zu analysieren, ist eine komplexe Angelegenheit. Für die Interpretation von Expressionismus-Gedichten ist es wichtig, dass du...
- ... die historischen Hintergründe der Epoche kennst.
- ... weißt, welche Motive und Merkmale für diese Epoche typisch sind.
- ... mit dem Begriff "Großstadtlyrik" etwas anfangen kannst.
- ... dich vom Äußeren zum Inneren vorarbeitest.
- ... Form, Inhalt und Sprache als eine untrennbare Einheit verstehst.
- ... deine Analyse in den zeitgeschichtlichen Kontext setzt.
Eine Gedichtanalyse funktioniert nach dem Zwiebelprinzip: Erst nimmst du dir offensichtliche Äußerlichkeiten wie Strophen- und Verszahl oder das Reimschema vor. Dann benennst du die rhetorischen Mittel, ehe du diese interpretierst und sie dann mit Form und Inhalt sowie dem zeitgeschichtlichen Kontext in Verbindung setzt. Die Leitfrage dabei ist immer: Was bedeutet das? Nichts in einem Gedicht ist ohne Grund so, wie es ist. Als Gesamtwerk läuft alles darauf hinaus, die im Gedicht enthaltene Botschaft und Aussageabsicht zum Ausdruck zu bringen.
FAQ: Häufige Fragen
Expressionismus Gedichte auf einen Blick
- Für die Analyse und Interpretation von Expressionismus Gedichten solltest du den zeitgeschichtlichen Kontext sowie die typischen Themen und Motive der Zeit kennen.
- Das wichtigste Ereignis der Zeit war der Erste Weltkrieg.
- Weitere bedeutende Ereignisse waren Urbanisierung und Industrialisierung, das Ende des Kaiserreichs und der Beginn der Weimarer Republik.
- Ich-Verlust, Orientierungslosigkeit, Isolation, Angst vor dem Weltende und die Großstadt sind die Themen, die der Expressionismus verarbeitet hat.
- Subjektive Sinneseindrücke und Gefühle standen im Fokus.
- Die Gedichte sind sprachlich sehr ausdrucksstark und verwenden viele sprachliche Stilmittel.
- Die Lyrik des Expressionismus ist neuartig und mit keiner anderen Epoche zu vergleichen.
- Die Dichter /-innen brachen mit Konventionen und wollten sich in keine Form zwängen lassen. Deswegen schufen sie neue Darstellungsformen und experimentierten mit Sprache.
- Typische Gesichtsmerkmale wie Metrum, Reimschema und Strophenform fehlen meist. Außerdem wirkt der Stil abgehackt und telegrammartig.
- Versuche in deiner Analyse immer das Zusammenspiel von Form und Inhalt darzustellen. Mache dir klar, dass die formale Gestaltung eines Gedichts immer mit der inhaltlichen zusammenhängt.
- Betrachte das Gedicht immer vor seinem zeitgeschichtlichen Hintergrund.
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