Das Erzählverhalten in Texten: So kannst du es erkennen

Elena Weber

Erzählverhalten Buch auf Knien

Jede Geschichte hat ein bestimmtes Erzählverhalten. | Foto: petrunjela / Getty Images

Das Erzählverhalten: ein wichtiges Merkmal epischer Texte

Wenn es in deiner Deutschklausur darum geht, einen Text zu analysieren, gehört es dazu, dass du mit den verschiedenen Merkmalen der einzelnen Textsorten vertraut bist. So sollte dir in deiner Gedichtanalyse klar sein, dass ein Gedicht aus Versen und Strophen besteht, ein Drama hingegen aus Szenen und Akten. Und bei erzählenden Texten wie Kurzgeschichten, Romanen oder Novellen solltest du wissen, dass diese immer einen Erzähler haben, der immer eine bestimmte Perspektive einnimmt, das sogenannte Erzählverhalten. Was das genau ist, welche verschiedenen Arten und Funktionen es gibt und wie du das Erzählverhalten bestimmen kannst, erklären wir dir hier.

Definition: Was ist das Erzählverhalten

Das Erzählverhalten ist ein bestimmtes Merkmal, das dir nur in der literarischen Gattung der Epik begegnet. Sie umfasst erzählende Texte wie Romane, Novellen oder Kurzgeschichten. Typisch für alle epischen Texte ist, dass du immer einen Erzähler hast. Dieser Erzähler kann verschiedene Verhaltensweisen oder Perspektiven zeigen. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von der Erzählperspektive.

Achtung: Der Erzähler ist nicht gleich der/die Autor /-in. Der Erzähler wird vom Autor oder der Autorin gezielt eingesetzt, um eine bestimmte Wirkung zu erzielen und die Geschichte auf eine bestimmte Art zu erzählen. Du kannst ihn dir quasi als eigene Figur vorstellen, die Autoren kreieren, die aber nichts mit ihnen selbst zu tun hat.

Arten und Funktionen

Sollst du in deiner nächsten Klausur oder auch bei Deutsch im Abitur einen epischen Text analysieren und zum Beispiel eine Kurzgeschichte interpretieren müssen, solltest du auf jeden Fall auch das Erzählverhalten benennen. Denn welche Perspektive der Erzähler einnimmt, wirkt sich entscheidend auf den Text aus.

Es gibt drei Erzählperspektiven, die dir begegnen können:

Sie alle führen den/die Leser /-in auf ihre ganz eigene Art durch den Text und sind durch charakteristische Merkmale sowie eine ganz eigene Funktion gekennzeichnet.

Das auktoriale Erzählverhalten

Bei einem auktorialen Erzähler handelt es sich um einen allwissenden Erzähler. Das bedeutet, dass das Erzählverhalten, anders als etwa beim personalen Erzähler, nicht auf eine einzelne Figur beschränkt ist. Stattdessen hat der allwissende Erzähler den Überblick über das gesamte Geschehen und kennt die Gefühle und Gedanken aller Personen, die dir in der Geschichte begegnen. Darüber hinaus kennt er Zusammenhänge und kann beispielsweise auch Aussagen über Vergangenheit oder Zukunft treffen. Dadurch hat er gegenüber den Figuren einen Wissensvorsprung, den er gezielt einsetzen kann, um dem/-r Leser /-in daran teilhaben zu lassen, zum Beispiel: Sie ahnten nicht, dass dies ihre letzte Begegnung sein sollte.

Der auktoriale Erzähler tritt in der Regel sehr deutlich in Erscheinung, eben weil er mehr weiß als alle anderen. Zudem kann er die Leser /-innen direkt ansprechen oder sich in Form von Kommentaren in das Geschehen einmischen, zum Beispiel: Aber wir alle wissen ja, wie das ausgegangen ist. 

Merke dir zum auktorialen Erzähler:

  • Der auktoriale Erzähler ist allwissend.
  • Er kennt alle Gedanken und Gefühle.
  • Er kann Handlungen kommentieren, beurteilen und reflektieren sowie auf Vergangenheit und Zukunft verweisen. 
  • Er weiß mehr als Figuren und Leser /-innen.
  • Er kann die Leser /-innen direkt ansprechen.

Das auktoriale Erzählverhalten leitet dich als Leser /-in durch die Geschichte und kann dich beeinflussen, da es bewertet, kommentiert und dich vielleicht auch mal auf eine falsche Fährte führt. Formal verwendet der auktoriale Erzähler die Personalpronomen der 3. Person, also er und sie.

Das personale Erzählverhalten

Eine andere Form der Erzählperspektive ist das personale Erzählverhalten. Es nutzt die Perspektive einer Figur und nimmt ihre Sichtweise ein. Diese ist nicht an eine Figur gebunden, die Person, aus deren Sicht die Geschichte erzählt wird, kann auch wechseln. Dann spricht man von einer Multiperspektive. Allerdings kann der personale Erzähler nie gleichzeitig aus der Sicht von zwei Figuren erzählen.

Ein sehr anschauliches Beispiel für den Einsatz eines personalen Erzählers findest du in der literarischen Vorlage von Game of Thrones "Das Lied von Eis und Feuer" von George R.R. Martin. Martin erzählt sein Fantasy-Epos durchgehend aus der Sicht eines personalen Erzählers. Dieser wechselt jedoch kapitelweise, sodass du ein und dasselbe Ereignis aus ganz verschiedenen Sichtweisen erlebst. So gelingt ihm nicht nur eine detaillierte Charakterisierung seiner Figuren. Auch die Grenze zwischen Richtig und Falsch sowie Gut und Böse verwischt dadurch. 

Formal kann der personale Erzähler die Er/Sie-Perspektive oder die Ich-Perspektive wählen. Man unterscheidet ihn daher auch in den personalen Er/Sie- oder den Ich-Erzähler. Beide Formen ermöglichen es dir als Leser /-in, dich mit der Person und ihrer Sichtweise zu identifizieren. Beim Ich-Erzähler bist du der Figur besonders nah, da du die Erzählung ja in der Ich-Form liest. Anders als beim auktorialen Erzähler gibt es beim personalen Erzähler keine Kommentare oder andere Formen der Kommunikation mit dem/der Leser /-in. 

Ein bekanntes Beispiel für einen Ich-Erzähler ist die "Tribute von Panem"-Trilogie. Sie ist komplett aus der Ich-Perspektive der Hauptfigur Katniss Everdeen geschrieben und du erlebst die Geschichte aus ihrer Sicht. 

Merke dir zum personalen Erzähler:

  • Der personale Erzähler erzählt aus der Perspektive einer Person. Du kennst nur deren Gefühle und Gedanken.
  • Die Person, deren Perspektive er einnimmt, kann wechseln. Er kann aber nie aus der Sicht zweier Personen gleichzeitig erzählen.
  • Du unterscheidest zwischen personalem Er/Sie- und Ich-Erzähler.
  • Der personale Erzähler ermöglicht eine Identifikation mit dem/der Protagonisten /-in.
  • Besonders nah kommst du als Leser /-in der Figur bei einem Ich-Erzähler.
  • Die Sicht eines personalen Erzählers ist immer eingeschränkt.
  • Es gibt keine Kommentare oder Kommunikation mit den Lesern /-innen.

Das neutrale Erzählverhalten

Der neutrale Erzähler ist die unauffälligste Erzählperspektive. Du kannst ihn dir als Zuschauer vorstellen, der nicht am Geschehen beteiligt ist. Er schildert lediglich, was er sieht, ohne dabei die Gefühle oder Gedanken der Figuren oder einer bestimmten Figur zu kennen. Auch gibt er keine Kommentare ab. Er ist quasi wie eine Filmkamera, die ohne Wertung abbildet, was geschieht, nur dass er dies eben nicht visuell macht, sondern mit Worten. Folglich berichtet der neutrale Erzähler sachlich und objektiv, du als Leser /-in erlebst das Geschehen also aus einer gewissen Distanz. Das ist ein großer Unterschied zum personalen Erzähler, bei dem du ja sogar emotional involviert bist.

Merke dir zum neutralen Erzähler:

  • Er beschreibt nur, was er sieht.
  • Er ist neutral und objektiv.
  • Er wertet nicht und nimmt keine bestimmte Perspektive ein.
  • Dadurch hat er – und damit auch du als Leser/-in – eine gewisse Distanz zum Geschehen.
  • Der neutrale Erzähler tritt in der Er/Sie-Form auf.

Wusstest du, dass...

… der neutrale Erzähler Gespräche ohne Zwischenbemerkungen wiedergibt? Dies wird als szenisches Erzählen bezeichnet.

Das Erzählverhalten erkennen

Sollst du eine Interpretation schreiben, in der du einen epischen Text analysierst, gehört es zur Vollständigkeit dazu, dass du auch das Erzählverhalten benennst und erläuterst. Denn die Erzählperspektive ist ein charakteristisches Merkmal eines erzählenden Textes. Du solltest sie in deiner Analyse also auf keinen Fall unterschlagen, sondern stattdessen auch ihre Wirkung interpretieren. 

Der Ich-Erzähler

Die einzelnen Erzählperspektiven zu erkennen, ist gar nicht so schwer. Am einfachsten ist das beim Ich-Erzähler. Hier spricht der Erzähler in der Ich-Form. Das erkennst du schon nach wenigen Sätzen: Es war wie jeden Morgen: Ich konnte mich einfach nicht aufraffen, aufzustehen. Wie immer hatte ich mir am Vorabend vorgenommen, nicht wieder so lange aufzubleiben. Doch wie immer hatte ich es nicht geschafft, dieses Vorhaben umzusetzen.

Der personale Erzähler

Auch der personale Er/Sie-Erzähler ist leicht zu erkennen. Er berichtet aus der Sicht einer bestimmten Person, zum Beispiel: Es war wie jeden Morgen: Elif konnte sich einfach nicht aufraffen, aufzustehen. Wie immer hatte sie sich am Vorabend vorgenommen, nicht wieder so lange aufzubleiben. Doch wie immer hatte sie es nicht geschafft, dieses Vorhaben umzusetzen. 

Der auktoriale Erzähler

Der auktoriale Erzähler steht über den Ereignissen und kommentiert diese: Es war wie jeden Morgen: Elif konnte sich einfach nicht aufraffen, aufzustehen. Wie immer hatte sie sich am Vorabend vorgenommen, nicht wieder so lange aufzubleiben. Doch wie immer hatte sie es nicht geschafft, dieses Vorhaben umzusetzen. Was sie noch nicht ahnte: Sie würde es bitter bereuen.

Der neutrale Erzähler

Der neutrale Erzähler hingegen schildert ganz objektiv, was passiert: Elif wachte am Morgen auf und konnte sich nicht aufraffen, aufzustehen. 

Gerade beim personalen Er/Sie-Erzähler und auktorialem Erzähler musst du manchmal genau hinschauen, da beide in der Er/Sie-Form geschrieben sind. Wenn du dir nicht sicher bist, welche Erzählperspektive vorliegt, helfen dir folgende Fragen:

  • Was weiß der Erzähler? Kennt er nur die Perspektive einer Person oder weiß er alles?
  • Woher weiß der Erzähler es? Sind es die Gedanken und Gefühle einer Person oder kann er z.B. in die Zukunft schauen?
  • Gibt es besondere Merkmale? Verwendet er die Ich-Form oder kommentiert er das Geschehen? Spricht er den Leser oder die Leserin vielleicht direkt an?

Wie immer in einer Interpretation gilt übrigens auch beim Erzählverhalten: Arbeite mit Textbelegen! Nur so kannst du glaubhaft nachweisen, um welche Erzählperspektive es sich handelt.

Weitere Infos 

Ausführliche Informationen zu den einzelenne Erzählperspektiven kannst du hier nachlesen:

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FAQ: Häufige Fragen zum Erzählverhalten

Was ist der Unterschied zwischen Erzählverhalten und Erzählperspektive?

Zwischen Erzählverhalten und Erzählperspektive gibt es keinen Unterschied. Beide Begriffe bezeichnen die Perspektive, die der Erzähler in epischen Texten einnimmt.

Was gehört zum Erzählverhalten?

Zum Erzählverhalten gehören der auktoriale, auch allwissende Erzähler, der personale Erzähler in der Er/Sie- oder der Ich-Form sowie der neutrale Erzähler.

Welches Erzählverhalten hat der Ich-Erzähler?

Der Ich-Erzähler ist eine Sonderform des personalen Erzählers. Er nimmt die Perspektive einer bestimmten Person ein und erzählt diese in der Ich-Form.

Das Erzählverhalten im Überblick

  • Beim Erzählverhalten handelt es sich um die Perspektive, die der Erzähler einnimmt.
  • Das Erzählverhalten ist ein typisches Merkmal epischer Texte.
  • Du kannst zwischen auktorialem, personalem und neutralem Erzähler unterscheiden.
  • Jedes Erzählverhalten hat eine bestimmte Funktion und Wirkung auf Text und Leser /-in.
  • In deiner Interpretation solltest du auf jeden Fall auf das Erzählverhalten eingehen.
  • Vergiss beim Bestimmen der Erzählperspektive nicht die Textbelege!

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