Neutraler Erzähler: alles über diese Erzählperspektive

Elena Weber - 22.03.2022

Neutraler Erzähler lesen

Der neutrale Erzähler fordert von dir, mitzudenken. | Foto: Sam Edwards / Getty Images

Ein neutraler Erzähler: ein objektiver Beobachter

Beim Schreiben einer Geschichte ist nicht nur wichtig, was für eine Geschichte du erzählst. Mindestens genauso wichtig ist, wie du diese Geschichte erzählst. Denn das "Wie" entscheidet darüber, wie die Leser /-innen die Geschichte erleben und wie viel du als Autor /-in über die Handlung preisgibst und auf welche Weise du das tust. Hier kommt die Erzählperspektive ins Spiel. Eine dieser Erzählperspektiven ist der neutrale Erzähler. Was sich dahinter verbirgt und welche Merkmale typisch für ihn sind, haben wir dir hier mit Beispielen zusammengestellt.

Definition: Was ist ein neutraler Erzähler?

Wenn wir von Erzählern sprechen, beziehen wir uns grundsätzlich auf Texte, die zur literarischen Gattung der Epik gehören. Sie umfasst erzählende Texte wie Kurzgeschichten, Novellen oder Romane. Ein typisches Merkmal epischer Texte ist der Erzähler. Er erzählt die Geschichte aus einer bestimmten Perspektive heraus, der sogenannten Erzählperspektive. Sie kann auch als Erzählverhalten bezeichnet werden.

Es gibt vier verschiedene Erzählperspektiven, die du kennen solltest: den auktorialen Erzähler, den neutralen Erzähler, den personalen Er/Sie-Erzähler und den Ich-Erzähler. Jeder von ihnen hat eine bestimmte Funktion und entscheidet darüber, wie du als Leser /-in die Geschichte erlebst. Auch der neutrale Erzähler erzielt eine bestimmte Wirkung, die wir uns nun im Folgenden näher anschauen.

Merkmale des neutralen Erzählers

Noch einmal zur Erinnerung: Der personale Erzähler erzählt aus der Sicht einer bestimmten Person und kennt nur deren Gedanken und Gefühle. Der Ich-Erzähler ist eine bestimmte Art des personalen Erzählers und erzählt aus der Ich-Perspektive. Und der auktoriale Erzähler ist allwissend und kennt nicht nur die Gedanken und Gefühle aller Personen, sondern auch Vergangenheit und Zukunft. Außerdem kann er die Geschichte kommentieren oder bewerten. 

Der neutrale Erzähler macht nichts von alledem. Stattdessen kannst du ihn dir als objektiven Beobachter vorstellen, der das Geschehen von außen betrachtet. Und von außen bedeutet auch von außen: Der neutrale Erzähler gibt nur das wieder, was er sieht. Im Gegensatz zu anderen Erzählperspektiven kann er nicht in den Kopf einer oder mehrerer Figuren gucken und Auskunft über ihre Gedanken und Gefühle geben. 

Typisch für einen neutralen Erzähler ist, dass er…

  • eine objektiver Beobachter ist.
  • nur das beschreibt, was in der Geschichte vor sich geht.
  • keine zusätzlichen Informationen gibt.
  • keine Kommentare oder Wertungen vornimmt.
  • Personalpronomen der 3. Person (Er/Sie) verwendet.

Folglich hält sich ein neutraler Erzähler sehr zurück und fällt dir unter Umständen gar nicht auf. Das bedeutet, dass er dir als Leser /-in Zusammenhänge nicht weiter erklärt und du sie dir selbst erschließen musst.

Gut zu wissen

Der Erzähler einer Geschichte dient dazu, dass du dich in einer Geschichte zurechtfindest und jemanden hast, der dich mit in die fiktive Welt nimmt, die der/die Autor /-in erschaffen hat. Der/Die Autor /-in ist aber nicht der Erzähler. Denn dieser ist Teil der Geschichte und damit genauso fiktiv wie die Geschichte.

Wirkung des neutralen Erzählers

Da der Erzähler und seine Perspektive Teil der Geschichte ist und vom Autor / von der Autorin ganz bewusst erschaffen wurde, soll durch ihn natürlich auch eine bestimmte Wirkung erzielt werden. 

Durch den neutralen Erzähler nimmst du als Leser /-in die maximale Distanz zum Geschehen ein, denn du erfährst ja keinerlei Hintergründe, Gedanken oder Gefühle. Gleichzeitig bedeutet das für dich, dass du auch mehr mitdenken musst als bei den anderen Erzählperspektiven. Denn der neutrale Erzähler erklärt dir nichts und überlasst es dir, Zusammenhänge zu erschließen. Da die sachliche Erzählweise des neutralen Erzählers auf Kommentare oder die Schilderung von Emotionen verzichtet, ist sie allerdings auch wenig lebendig und kann etwas langweilig wirken.

Ganz ohne Erzähler

Es gibt auch Autoren /-innen, die komplett auf Erzähler verzichten, etwa Theodor Fontane in "Effi Briest":

"Man soll sein Schicksal nicht versuchen; Hochmut kommt vor dem Fall."
"Immer Gouvernante; du bist doch die geborene alte Jungfer."
"Und hoffe mich doch noch zu verheiraten. Und vielleicht eher als du."

Unterschied zwischen den Erzählperspektiven 

Um dir die Wirkung des neutralen Erzählers noch einmal zu verdeutlichen, zeigen wir dir anhand eines Beispiels, wie sehr er sich von den anderen Erzählperspektiven unterscheidet.

Beispiel: 

Sie hob den Kopf und blickte aus dem Fenster. Der Regen prasselte gegen das Fenster. Sie seufzte.

Hier erfährst du nur das, was offensichtlich ist. Informationen zu Gefühlen und Gedanken oder sonstigen Hintergründe gibt es nicht. Es handelt sich somit um einen neutralen Erzähler. Ganz anders wirken diese drei Sätze bei einem personalen Erzähler:

Sie hob widerwillig den Kopf und blickte aus dem Fenster. Der Regen prasselte gegen das Fenster, nicht weniger wütend als sie selbst es war. Sie seufzte schwer. 

Wie du siehst, sind die Änderungen gar nicht so groß. Dennoch reichen sie aus, um dir einen Einblick in die Gedanken und Gefühle der Figur zu geben und aus einem neutralen Erzähler einen personalen zu machen.

Bei einem Ich-Erzähler wirken die Sätze wieder ganz anders:

Ich hob den Kopf und blickte aus dem Fenster. Der Regen prasselte gegen das Fenster. Ich seufzte.

Durch die Ich-Form hast du direkt einen ganz anderen Zugang zum geschehen und auch zu der Figur, auch wenn du hier noch gar nichts über ihre Gefühle erfährst.

FAQ: Häufige Fragen zum neutralen Erzähler

Was ist der Unterschied zwischen auktorial, personal und neutral?

Der Unterschied zwischen diesen Erzählperspektiven besteht in dem, was sie wissen. Der auktoriale Erzähler ist allwissend. Das bedeutet, dass er die Gedanken und Gefühle aller Figuren kennt und das Geschehen kommentieren und bewerten kann. Der personale Erzähler hingegen ist auf die Sichtweise einer einzelnen Figur beschränkt. Und der neutrale Erzähler ist ein objektiver Beobachter, der nur das beschreibt, was er sieht.

Was ist ein neutraler Text?

Ein neutraler Text verfolgt die gleichen Ziele wie ein neutraler Erzähler: Er möchte lediglich informieren, nicht aber bewerten oder kommentieren. Es bleibt den Leser /-innen überlassen, Zusammenhänge zu erschließen und sich eine Meinung zu bilden.

Welche Wirkung hat ein neutraler Erzähler?

Da der neutrale Erzähler nicht in der Figurenwelt präsent ist, zeigt der dem  /-r Leser /-in nur die sichtbaren Vorgänge. Alles andere bleibt für den /-ie Leser /-in verborgen, sodass er in Distanz zum geschehen steht. Gleichzeitig regt ein neutrales Erzählverhalten zum Mitdenken an, da Zusammenhänge nicht erklärt, sondern selbst erschlossen werden müssen.

Neutraler Erzähler: ein Überblick

  • Der neutrale Erzähler ist eine Erzählperspektive.
  • Er weiß nichts über die Gedanken, Gefühle und Hintergründe einzelner Figuren.
  • Stattdessen schildert er nur das, was er beobachtet.
  • Er ist ein sachlicher und objektiver Beobachter.
  • Er verwendet die dritte Person Singular (Er/Sie).
  • Du als Leser /-in nimmst die Handlung ebenfalls distanziert wahr.
  • Gleichzeitig musst du bei einem neutralen Erzählverhalten am meisten mitdenken, da du dir Zusammenhänge selbst erschließen musst.

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