Märchen Merkmale: Alles, was du wissen musst
Märchen Merkmale sind vor allem von den Brüdern Grimm geprägt. | Foto: sensationaldesign / Getty Images
Märchen Merkmale: Mehr als nur “Es war einmal”
“Es war einmal” und “Wenn sie nicht gestorben sind” – bei diesen Worten weiß jede /-r: Wir sind im Märchen. Kinderkram, denkst du? Nicht ganz. Denn hinter diesen scheinbar naiven Erzählungen, in denen eh immer alles gut ausgeht, steckt einiges mehr. Das erkennst du, wenn du dir die Märchen Merkmale einmal näher anschaust. Welche das sind und woran du Märchen sonst noch erkennst, haben wir für dich zusammengestellt.
Definition: Das ist ein Märchen
Das Märchen gehört zur literarischen Gattung der Epik, das heißt, es handelt sich um erzählende Texte, die bestimmte Epik Merkmale aufweisen, etwa den Erzähler mit einer bestimmten Erzählperspektive. Der Begriff Märchen leitet sich von dem mittelhochdeutschen Begriff “maere” ab, der Kunde, Bericht oder Erzählung bedeutet. Unterscheiden kannst du zwischen Volks- und Kunstmärchen
Volksmärchen
Volksmärchen wurden vor allem von den Brüdern Wilhelm und Jacob Grimm geprägt. Diese sammelten volkstümliche Erzählungen und hielten sie in ihren “Kinder- und Hausmärchen” fest. Zu ihnen gehören so bekannte Märchen wie “Rotkäppchen”, “Rumpelstilzchen” oder “Rapunzel”. Typisch für Volksmärchen ist, dass sie mündlich überliefert wurden und sich kein bestimmter Urheber feststellen lässt.
Kunstmärchen
Anders als Volksmärchen haben Kunstmärchen eine /-n namentlich bekannte /-n Autoren /-in. Bei ihnen handelt es sich um bewusste literarische Schöpfungen, die zum Teil gängige Motive der Volksmärchen aufgreifen. Bekannte Verfasser von Kunstmärchen sind zum Beispiel Hans Christian Andersen (“Die kleine Meerjungfrau”, “Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern”) oder Oscar Wilde (“Der eigensüchtige Riese”, “Der glückliche Prinz”).
Merkmale von Volksmärchen
Wie du es von epischen Texten wie Novellen oder Kurzgeschichten kennst, haben auch Märchen bestimmte Merkmale, an denen du sie eindeutig als Märchen erkennen kannst. Unterschiede gibt es aber auch hier zwischen Volks- und Kunstmärchen.
Zehn typische Merkmale, an denen du Volksmärchen erkennst: Volksmärchen…
- … sind leicht verständlich
- … spielen in einer erfundenen Welt.
- … beinhalten übernatürliche Elemente
- … haben keine Ort- und Zeitangaben.
- … beinhalten Gegensätze wie arm und reich oder gut und böse.
- … haben ein Happy End.
- … arbeiten mit Stereotypen, nicht mit richtigen Charakteren.
- … personifizieren Tiere und Pflanzen.
- … haben eine ausgeprägte Zahlensymbolik (sieben Zwerge, die dreizehnte Fee, drei goldene Haare etc).
- … haben einen Konflikt, den die Hauptfigur lösen muss.
1. Leicht verständlich
Volksmärchen leben von ihrer Einfachheit. Das liegt zum einen an ihrem mündlichen Ursprung: Wenn du etwas weiter erzählst, ist es nie so ausführlich, als wenn du es aufschreibst. Zum anderen dient diese Einfachheit dazu, dass jede /-r sie verstehen, sich merken und dadurch ebenfalls leicht weitererzählen kann.
2. Eine erfundene Welt
Märchen geht es nicht darum, die Wirklichkeit eins zu eins abzubilden. Sie verweisen zwar auf allgemeingültige Themen wie Liebe, Gier oder Freundschaft, betten das Ganze aber in Fantasiewelten ein, in denen Zauberei selbstverständlich ist oder in denen es nichts Besonderes ist, dass Tiere sprechen können.
3. Übernatürliche Elemente
Ein vergifteter Apfel, zaubernde Feen und Hexen oder sprechende Tiere – übernatürliche Elemente sind in der Märchenwelt ganz selbstverständlich, gehören dazu und werden von den Märchenfiguren auch nicht hinterfragt.
4. Keine Ort- und Zeitangaben
In Volksmärchen findest du keine bestimmten Ort- oder Zeitangaben. Das unterstreicht ihren allgemeingültigen Charakter: Die Erzählung ist nicht an eine konkrete Zeit oder einen genauen Ort gebunden, ihr Thema ist zeitlos.
5. Das Spiel mit den Gegensätzen
Arm und reich, gut und böse, fleißig und faul – typisch für Märchen ist das Aufeinanderprallen von Gegensätzen. Häufig begegnen dir die böse Stiefmutter und die gute Prinzessin oder die fleißige Tochter und ihre faule Stiefschwester. Derartige Gegensätze machen die Geschichte leicht verständlich, weil völlig klar ist, wer im Märchen welche Rolle einnimmt. Darüber hinaus kann so ganz deutlich gezeigt werden, wer in der Geschichte richtig und wer falsch handelt. Grauzonen gibt es in Volksmärchen nicht.
6. Das Happy End
“Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute”: Bei Volksmärchen weißt du schon zu Beginn, dass sie gut ausgehen werden. Du hast die Gewissheit, dass, egal was den Figuren Schlimmes widerfährt, das Gute gewinnen wird.
7. Stereotype
Da Märchen leicht verständlich sein sollen, ist in ihnen kein Platz für detaillierte Charakterarbeit. Vielschichtige Figuren suchst du hier also vergeblich. Stattdessen greifen Märchen auf Stereotype zurück, deren Funktion in der Geschichte klar und leicht verständlich ist. Du erfährst nicht, was die Figuren fühlen oder denken.
8. Die Personifizierung von Tieren und Pflanzen
Tiere und Pflanzen spielen in Märchen eine große Rolle und da wir mit Märchen ja in eine Fantasiewelt eintauchen, ist es hier ganz normal, dass Tiere und Pflanzen sprechen können. Und auch in Märchen, in denen das nicht der Fall ist, haben Tiere und Pflanzen oft eine wichtige Bedeutung.
9. Zahlensymbolik
Dreizehn Feen, sieben Zwerge, drei Federn – Zahlen spielen in Märchen ebenfalls eine wichtige Rolle. Sie sind Symbole mit einer meist magischen Bedeutung.
10. Konflikt
In jedem Volksmärchen hast du eine Hauptfigur, die mit einem bestimmten Problem konfrontiert wird, das zunächst unlösbar scheint. Dieser Konflikt wird zur Prüfung, den die Figur bestehen muss. Am Ende bekommt sie dafür ihr Happy End und wird für ihre Mühen und Leiden belohnt.
Gut zu wissen
Natürlich kannst du Volksmärchen auch an ihrer wiederkehrenden Beginn- und Schlussformel erkennen: „Es war einmal“ und „Wenn sie nicht gestorben sind.” Das gilt jedoch nur für die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, nicht für andere Volksmärchen.
Merkmale von Kunstmärchen
Nicht alle Merkmale, die typisch für Volksmärchen sind, finden sich auch bei den Kunstmärchen wieder. Charakteristisch für Kunstmärchen ist:
- Die Erzählweise ist ausführlicher.
- Es gibt keine Stereotypen in Ort, Zeit oder Figurenzeichnung.
- Kunstmärchen legen Wert auf eine detaillierte Personenbeschreibung sowie eine psychologische Wandlung.
- Es gibt keine eindeutige Zuordnung von Gut und Böse.
- Es werden moralische Grauzonen thematisiert.
- Es gibt nicht automatisch ein Happy End.
Aufbau
Märchen folgen einem typischen Aufbau, der ebenfalls zu den Märchen Merkmalen gezählt werden kann. Wie bereits angesprochen, hast du in Märchen in der Regel eine Hauptfigur, die ein Problem bewältigen muss, das zu Beginn erst einmmal unlösbar scheint. Häufig muss der/die Protagonist /-in dann seine/ihre Heimat verlassen und verschiedene Prüfungen bestehen. Diese Prüfungen sind meist als Klimax aufgebaut, das heißt, die meist drei Prüfungen werden immer schwieriger. Es gibt also eine Steigerung. Auf die bestandenen Prüfungen folgt dann die Belohnung, oft als Sieg über das Böse.
Gut zu wissen
Diese Prüfungen stehen für den Reifeprozess der Hauptfigur: Am Anfang erscheint sie meistens schwach, wächst dann aber an ihren Aufgaben.
Typische Motive in Märchen
In Märchen findest du viele Motive, die immer wieder auftauchen. Dazu gehören zum Beispiel:
- die böse Stiefmutter (z.B. Schneewittchen, Der Wacholderbaum, Brüderchen und Schwesterchen)
- ausgesetzte Kinder (z.B. Hänsel und Gretel)
- Rivalität unter Stiefgeschwistern (z.B. Frau Holle, Aschenputtel)
- Arm heiratet Reich (z.B. Aschenputtel, Rumpelstilzchen)
Darüber hinaus findest du in Märchen immer den Bezug zu allgemeingültigen Themen wie Gier, Neid oder Liebe. Diese Themen sind zeitlos und ein Grund dafür, warum Märchen noch heute erzählt werden.
Funktion von Märchen
Die Märchen Merkmale haben eine bestimmte Funktion. Ursprünglich für Erwachsene geschrieben, veranlasste der ausbleibende Erfolg Jacob Grimm dazu, die erste Auflage der Kinder- und Hausmärchen noch einmal zu überarbeiten und die Zielgruppe zu ändern. Folglich sollten Märchen vor allem als moralischer Ratgeber mit didaktischem Anspruch fungieren und Kinder im Sinne des Bürgertums zu anständigen Menschen erziehen und ihnen Lebensweisheiten mit auf den Weg geben. Aus diesem Grund sind Märchen vordergründig so einfach gehalten, greifen auf Stereotype zurück und unterteilen die Welt ganz schwarz und weiß in Gut und Böse.
Neben den Wertvorstellungen, die sie vermitteln wollen, dienen Märchen natürlich auch der Unterhaltung. Und von ihrer Einfachheit solltest du dich nicht täuschen lassen: Märchen lassen viele Rückschlüsse auf den zeitgeschichtlichen Kontext zu und bieten viel Raum für psychologische und tiefenpsychologische Deutungen.
Einflüsse der Romantik
Zu den bedeutendsten Märchen gehören zweifelsfrei die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm. Sie haben unser Bild und das Verständnis von Märchen entscheidend geprägt. Doch auch die Brüder waren beim Sammeln ihrer Märchen nicht unbeeinflusst. Denn mit ihrer Tätigkeit handelten sie im Sinne der Romantik (1795–1835). Von der Interpretation von Romantik Gedichten weißt du schon, dass es in dieser Literaturepoche typische Merkmale und Motive gibt, die die romantische Literatur geprägt haben. Diese Merkmale findest du auch in den Grimmschen Märchen.
Wie du vielleicht weißt, war die Romantik eine Gegenbewegung zu Aufklärung (1720–1800) und Weimarer Klassik (1786–1832) und ist durch eine Rückbesinnung auf die heimische Sagenwelt sowie eine Verklärung des Mittelalters gekennzeichnet. Um nationale Erzählungen vor dem Vergessen zu bewahren, haben die Brüder Grimm begonnen, Märchen zu sammeln. Die erste Auflage der Kinder- und Hausmärchen erschien im Jahr 1812.
Gut zu wissen
Diese Romantik Merkmale findest du in den Grimmschen Märchen:
- Flucht in Fantasie- und Traumwelten
- Märchen als Gegenbewegung zur Normalität
- nationaler Gedanke der Volksdichtung
- die Faszination am Schaurigen
Flucht in Fantasie- und Traumwelten
Ein wesentliches Anliegen der Romantik war es, sich der Wirklichkeit zu entziehen. Die Romantiker /-innen lehnten die Veränderungen ihrer Zeit bewusst ab und betrieben eine regelrechte Weltflucht, um aus dem gesellschaftlichen Leben zu fliehen. Der daraus resultierende Rückzug in Fantasie- und Traumwelten ist in diesem Ausmaß einzigartig in der Literaturgeschichte.
Diese Weltflucht zeigt sich auch in der Textsorte Märchen. Denn Märchenwelten sind nichts anderes als Traum- und Fantasiewelten, die im Kontrast zu einer immer technisierteren, rationalen Realität stehen. Im Märchen gibt es sprechende Tiere, Zauberei und die Gewissheit, dass alles gut ausgeht – sie romantisieren die Wirklichkeit und bewahren das Gute und Schöne.
Gegenbewegung zur Normalität
Als Gegenbewegung zur vernunfsbetonten Aufklärung und damit als Gegenbewegung zur Realität stellte die Romantik Gefühl, Leidenschaft und Individualität in den Fokus. Märchen sind nichts anderes als ein Ausdruck, sogar eine Romantisierung der Unzufriedenheit der Romantiker /-innen mit der damaligen Zeit, die sich durch die Französische Revolution, Kriege und die Industrialisierung grundlegend wandelte.
Nationaler Gedanke der Volksdichtung
Während sich die Weimarer Klassik auf antike Ideale und Helden zurück besann, wandte sich die Romantik der mittelalterlichen Sagenwelt zu und verklärte sie zum Ideal. Die Missstände dieser Zeit ließ sie bewusst außer acht. Im Zuge dessen entstand der Gedanke einer nationalen Volksdichtung, der es darum ging, alte, heimische Erzählungen zu bewahren. Solche Erzählungen sind Märchen, auch wenn nicht alle der von den Grimms zusammengetragenen Märchen einen deutschen Ursprung haben.
Die Faszination des Schaurigen
Typisch für die Romantik, insbesondere die Spätromantik (1818–1840), ist die Faszination am Gruseligen. Infolgedessen hat sich mit der Schwarzen Romantik eine Unterströmung entwickelt, die sich dem Schaurigen zuwandte und eine neue Textsorte, den Schauerroman, etablierte.
Im Märchen findest du einige schaurige Elemente, etwa Settings wie den dunklen Wald, gruselige Figuren, wie die böse Hexe und Geister, oder auch einige blutige, zum Teil sogar sehr brutale Aspekte, wie abgeschlagene Gliedmaße oder grausame Hinrichtungsmethoden.
Gut zu wissen
Auch viele typische Motive und Schauplätze der Romantik findest du im Märchen, beispielsweise das Spiegelmotiv in “Schneewittchen”, den Wald oder die Nacht (beides z.B. bei "Hänsel und Gretel”).
FAQ: Häufige Fragen
Märchen Merkmale im Überblick
- Märchen gehören zur literarischen Gattung der Epik.
- Du kannst zwischen Volks- und Kunstmärchen unterscheiden.
- Volksmärchen haben einen mündlichen Ursprung und zeichnen sich durch eine einfache, stereotype Erzählweise aus.
- Kunstmärchen sind ausführlicher, psychologisieren und legen Wert auf Details.
- Typisch für Märchen ist die Hauptfigur, die ein Problem bewältigen muss.
- Schauplatz von Märchen sind Fantasiewelten, in denen es ganz selbstverständlich ist, dass zum Beispiel Tiere sprechen können oder Menschen Zauberkräfte besitzen.
- In den Märchen der Brüder Grimm findest du zudem viele Motive und Einflüsse der Romatik.
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