Die Erzählperspektive: Wie du sie unterscheidest

Elena Weber

Erzählperspektive lesen

Das Erzählperspektive entscheidet darüber, wie du eine Geschichte beim Lesen erlebst. | Foto: Matias North / Unsplash

Die Erzählperspektive: nicht vergessen!

Beim Interpretation schreiben gibt es eine ganze Menge, auf das du achten musst. Unter anderem ist es wichtig, dass du dir bewusst machst, um welche Textsorte es sich bei dem zu analysierenden Text handelt. Denn zwischen Gedichten, Dramentexten und einer Novelle gibt es entscheidende Unterschiede. Das liegt daran, dass sie zu verschiedenen literarischen Gattungen gehören. Für epische, also erzählende Texte, ist es zum Beispiel typisch, dass sie immer einen Erzähler haben. Dieser nimmt immer eine bestimmte Perspektive ein, die sogenannte Erzählperspektive. Was genau sich dahinter verbirgt, welche Funktion sie hat und wie du sie bestimmen kannst, erklären wir dir hier.

Definition: Was ist die Erzählperspektive?

Unter der Erzählperspektive versteht man eine bestimmte Perspektive, die der Erzähler eine Geschichte einnimmt. Sie begegnet dir ausschließlich in der literarischen Gattung der Epik, also jener Gattung, zu der erzählende Texte wie Novellen, Romane oder Kurzgeschichten gehören. Ein anderer Begriff für Erzählperspektive ist Erzählverhalten.

Achtung: Mache nicht den Fehler, den Erzähler mit dem Autor oder der Autorin gleichzusetzen. Der Erzähler wird vom / von der Autor /-in genauso erschaffen, wie die Figuren in seiner/ihrer Geschichte. Erzähler und Autor /-in sind also nicht identisch.

Arten und Funktionen

Für eine vollständige Interpretation ist es wichtig, dass du die Erzählperspektive benennst. Sie ist ein zentrales Merkmal epischer Texte und muss daher unbedingt in deine Analyse miteinbezogen werden.

Es gibt drei Erzählperspektiven, die dir in epischen Texten begegnen können:

Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Erzählperspektiven sind eindeutig, denn sie alle haben ihre ganz eigene Art, eine Geschichte zu erzählen. Entsprechend unterschiedlich ist auch die Wirkung, die sie auf dich als Leser /-in haben.

Die auktoriale Erzählperspektive

Die auktoriale Erzählperspektive ist die Perspektive eines allwissenden Erzählers. Das bedeutet, dass er den Überblick über das gesamte Geschehen hat und die Gefühle und Gedanken aller Personen kennt. Seine Sichtweise ist nicht durch irgendetwas eingeschränkt und er kann sogar Aussagen über Zukunft und Vergangenheit treffen, die Handlung kommentieren oder sich direkt an den/die Leser /-in wenden.

Die auktoriale Erzählperspektive im Überblick:

Merkmale: allwissender Erzähler, kann kommentieren oder mit dem/-r Leser /-in kommunizieren
Form: er oder sie
Wirkung und Funktion:  der auktoriale Erzähler führt die Leser /-innen durch die Handlung und kann sie beeinflussen, indem er sie bewertet, kommentiert und gegenüber Figuren und Leser /-innen einen Wissensvorsprung hat.

Ein Beispiel für einen allwissenden Erzähler ist: Sie gingen im Streit auseinander. Sie ahnten nicht, dass dies ein schwerer Fehler war.

Die personale Erzählperspektive

Die personale Erzählperspektive ist deutlich eingeschränkter als die auktoriale. Denn ein personaler Erzähler nimmt immer die Perspektive einer Figur ein. Das bedeutet, er kennt die Gefühle und Gedanken dieser einen Person, nicht aber die aller anderen. 

Eine besondere Form des personalen Erzählers, der in der Er/Sie-Form erzählt, ist der Ich-Erzähler. Dieser ermöglicht die maximale Identifikation mit der Figur, denn der Erzähler und die Figur, die die Geschichte erlebt, sind hier identisch. 

Die personale Erzählperspektive im Überblick:

Gut zu wissen

Der personale Erzähler kann innerhalb einer Geschichte wechseln, aber niemals gleichzeitig aus der Sicht zweier Personen erzählen. Dann wäre es ein auktorialer Erzähler.

Merkmale:  Erzählt aus der Perspektive einer Person. Es gibt keine Kommunikation mit dem/der Leser/-in in Form von Kommentaren oder Andeutungen.
Form:  Er/Sie oder Ich
Wirkung und Funktion:  Der personale Erzähler ist subjektiv. Der/Die Leser /-in kann sich mit der Figur identifizieren und erlebt die Geschichte aus ihrer Perspektive.

Die neutrale Erzählperspektive

Der neutrale Erzähler ist nicht in das Geschehen involviert. Vielmehr ist er ein unauffälliger Beobachter, der nicht durch Kommentare oder Wertungen in Erscheinung tritt. Zudem weiß er nur das, was er sieht, nicht, was in einer Figur vorgeht. Man spricht in diesem Zusammenhang auch vom erzählerlosen Erzählen.

Die neutrale Erzählperspektive im Überblick:

Merkmale:  sachlich und objektiv. Er ist bloß ein unbeteiligter Beobachter und weiß von allen Erzählperspektiven am wenigsten über die Handlung.
Form:  Er oder Sie
Wirkung:  baut Distanz zwischen Leser /-innen und Handlung auf

Die Erzählperspektive erkennen

Wie du siehst, unterscheiden sich die verschiedenen Erzählperspektiven zumindest in der Theorie recht deutlich voneinander. Und auch in der Praxis sind sie meist sehr eindeutig auseinanderzuhalten. Um das Erzählverhalten zu bestimmen, können dir folgende Fragen helfen:

  • Was weiß der Erzähler? Alles, nur das, was er sieht oder die Perspektive einer bestimmten Figur? 
  • Woher weiß der Erzähler es? Sind es die Gedanken und Gefühle einer Person, beobachtet er nur oder kann er z.B. in die Zukunft schauen?
  • Gibt es besondere Merkmale? Verwendet er die Ich-Form oder kommentiert er das Geschehen? Spricht er den/die Leser /-in vielleicht direkt an oder fällt er gar nicht auf?

Wusstest du, dass...

… der neutrale Erzähler das Stilmittel des szenischen Erzählens verwendet? Er gibt auch Gespräche ohne Zwischenbemerkung wieder und die bezeichnet man als szenisches Erzählen.

Beispiele für die einzelnen Erzählperspektiven

Die Erzählperspektive, die du am einfachsten erkennst, ist der Ich-Erzähler. Sein unverkennbares Merkmal ist die Ich-Form, wie hier in dem Auszug aus "Die Tribute von Panem - Tödliche Spiele", Kapitel 1, von Suzanne Collins: Als ich aufwache, ist die andere Seite des Bettes kalt. Ich strecke die Finger aus und suche nach Prims Wärme, finde aber nur das raue Leinen auf der Matratze. Prim muss schlecht geträumt haben und zu Mutter geklettert sein. Natürlich. Heute ist der Tag der Ernte.

Den personalen Er/Sie-Erzähler erkennst du ebenfalls an seiner persönlichen Sichtweise, wie zum Beispiel in "Das Lied von Eis und Feuer - Die Herren von Winterfell" von George R.R. Martin:  Leichter Schnee fiel. Bran konnte spüren, wie er schmolz, wenn er sein Gesicht wie sanfter Regen berührte. Aufrecht saß er auf seinem Pferd und sah zu, wie das eiserne Fallgitter hochgezogen wurde. Sosehr er sich auch darum mühte, ruhig zu bleiben, flatterte doch sein Herz in der Brust. »Bist du bereit?«, fragte Robb. Bran nickte, gab sich Mühe, seine Angst nicht zu zeigen. Seit seinem Sturz hatte er Winterfell nicht mehr verlassen, doch war er entschlossen, stolz wie ein Ritter auszureiten. 

Der auktoriale Erzähler hingegen kennt nicht nur eine einzelne Perspektive, sondern kann auch allgemeine Aussagen treffe. Er überblickt den Zusammenhang, wie zum Beispiel in Lew Tolstois "Anna Karenina": Alle glücklichen Familien sind einander ähnlich; jede unglückliche Familie ist auf ihre Weise unglücklich. Im Hause der Oblonski herrscht allgemeine Verwirrung. Die Dame des Hauses hatte in Erfahrung gebracht, dass ihr Gatte mit der im Haus gewesenen Gouvernante ein Verhältnis unterhalten hatte und ihm erklärt, sie könne fürderhin nicht mehr mit ihm unter einem Dache bleiben.

Der neutrale Erzähler hingegen schildert einfach nur, was passiert, manchmal, wie etwa im szenischen Erzählen, gibt er sich gar nicht zu erkennen, wie zum Beispiel bei Theodor Fontanes "Effi Briest":
"Man soll sein Schicksal nicht versuchen; Hochmut kommt vor dem Fall."
"Immer Gouvernante; du bist doch die geborene alte Jungfer."
"Und hoffe mich doch noch zu verheiraten. Und vielleicht eher als du."

Beim Bestimmen der Erzählperspektive ist es wichtig, dass du mit Textbelegen arbeitest. Vergiss also nicht, Zeilen anzugeben und auf Textbasis zu erläutern, woran du die Erzählperspektive erkennst.

Weitere Infos

Hier kannst du noch einmal alle Erzählperspektiven ausführlich nachlesen.

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FAQ: Häufige Fragen zur Erzählperspektive

Was gibt es für Erzählperspektiven?

Es gibt die auktoriale, die personale und die neutrale Erzählperspektive. Eine besondere Form der personalen Erzählperspektive ist der Ich-Erzähler.

Was sind die drei Erzählperspektiven?

Die drei Erzählperspektiven sind die auktoriale, die personale und die neutrale.

Was ist die beste Erzählperspektive?

Das kommt darauf an, wie du eine Geschichte erzählen möchtest. Möchtest du beispielsweise eine möglichst hohe Identifikation mit deiner Hauptfigur erzielen und einen emotionalen Bezug zwischen ihr und den Leser /-innen herstellen, solltest du den Ich-Erzähler wählen. Möchtest du hingegen Andeutungen machen, um Spannung zu erzeugen oder dich direkt an deine Leser /-innen richten wollen, ist der auktoriale Erzähler die richtige Wahl.

Die Erzählperspektiven im Überblick

  • Die Erzählperspektive wird auch als Erzählverhalten bezeichnet.
  • Sie beschreibt die Perspektive, aus der der Erzähler eine Geschichte erzählt.
  • Es gibt den auktorialen, den personalen und den neutralen Erzähler. 
  • Sie alle sind durch bestimmte Merkmale und Funktionen gekennzeichnet.
  • Das Erzählverhalten ist ein typisches Merkmal epischer Texte. Vergiss nicht, es in deine Analyse einzubauen.

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