Bericht Erdbeben Nepal 2015
Alina Komorek unterrichtete in Nepal Grundschulkinder | Foto: Privat
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30. Apr 2015

Alina Komorek

News

Erdbeben in Nepal: Was die 20-jährige Alina vor Ort erlebte

Nach dem Abitur leistete Alina drei Monate Freiwilligenarbeit in Nepal

Alinas Eindrücke vom Erdbeben in Nepal

Es war einfach nur ein Spaziergang mit einer anderen Freiwilligen die Straße hinunter, auf der Suche nach einem Geschäft, das Snickers verkauft. Dann hat es mit Stärke 7,9 gewackelt. Es ist ein Gefühl, als hätte man zu viel getrunken – man verliert tatsächlich den Boden unter den Füßen. Die Leute rennen aus ihren Häusern, hocken sich auf den Boden, manche den Tränen oder einer Ohnmacht nah. Verwirrt bleiben wir stehen, greifen reflexartig nach den Händen der anderen. Eine wirkliche Bedrohung stellt das Beben in diesem Moment nicht dar, trotzdem zieht es uns zurück zu unserer Gastfamilie. Der Gedanke, dass wir Zeugen einer Naturkatastrophe werden, kommt uns erst, als während der Nachbeben erste Zahlen und Bilder in den Medien erscheinen.

Gegen Abend – nachdem wir zu zwei Tempeln gepilgert sind, um uns für unser Leben zu bedanken – können wir das Ausmaß des Bebens erfassen: Nach meinen letzten Informationen sind weit über 40.000 Menschen verletzt und in Nepals Krankenhäusern untergebracht, 1.400 Menschen sind gestorben. Die Zahlen können noch weiter steigen. In der Hauptstadt Kathmandu sind viele Wohnhäuser, öffentliche Gebäude, jahrhundertealte Tempel und Kulturdenkmäler zerstört und in sich zusammengefallen. Das alles bekomme ich hier auf dem Dorf kaum mit. Ein Haus wurde ein wenig beschädigt, ein Mann ist verletzt, da er vom Dach gefallen ist. Das Krankenhaus und die einzige Brücke zur nächsten größeren Stadt Naranghat sind zerstört. Das Haus der Verwandtschaft meiner Gastfamilie, die in Nepals zweitgrößter Stadt Pokhara lebt, ist in sich zusammengebrochen und hat das Gemüsefeld sowie einen Bullen unter sich begraben.

Bilder, Zahlen, Angst

Hier, inAmarapuri, herrscht am Abend die Ruhe vor dem Sturm. Wir warten auf stärkere Erschütterungen, auf ein Ende des Schreckens. Gegen elf Uhr die Nachricht, dass nur noch kleine Beben folgen. Wir trauen uns ins Haus zurück, zu dritt schlafen wir im Erdgeschoss, suchen Schlaf zwischen Angst und Erschöpfung.

Um fünf Uhr ruft die Gastmutter aus der Toilette, wir springen auf und verlassen zügig das Haus. Eine kurze Familienversammlung; kurz der Gedanke, dass wir es bis zum Morgen geschafft haben. Dann ist die Müdigkeit stärker als die Angst. Wir gehen zurück ins Bett, fallen in einen oberflächlichen Schlaf. Immer bereit, aufzuspringen. Keine Nachrichten von den anderen Freiwilligen, mit denen ich meine Zeit hier in Nepal verbracht habe. Sie sind in Kathmandu und Pokhara. Dort, wo die Katastrophe wirklich spürbar ist. Dort, wo ich mich im Moment eigentlich aufhalten sollte.

Dankbarkeit. Schuld. Schicksal?

Nie in meinem Leben war ich einer Gefahr wie dieser ausgesetzt. Wohin flieht man, wenn der Schutzraum, das eigene Zuhause, zur größten Bedrohung wird? Wie jeder Mensch habe ich den starken Wunsch, zu überleben. Den bemerke ich nun zum ersten Mal richtig. Solche Situationen kannte ich bisher nur aus dem Fernsehen. Es ist unfassbar, wie sich manche Dinge fügen. Ich bin froh, nur die Bilder zu sehen und nicht live mitzubekommen, was das Schicksal für andere bereitgehalten hat. Die Bilder folgen mir in meine instabilen Träume. Nie bin ich der Katastrophe so nah gewesen und nie war ich weiter davon entfernt.

Meine Familie in Deutschland wusste mehr als ich hier in Nepal auf dem Dorf. Ich habe nur das Wackeln gespürt. Am Morgen geht alles wieder seinen geregelten Gang. Arbeitende Nepalesen, hupende Laster und bockige Ziegen kreuzen meinen Weg.

Die Anspannung bleibt spürbar

Im Radio werden Zahlen korrigiert, es ist die Rede von weiteren Erschütterungen. Plötzlich wird mein Paradies zum Gefängnis. Der aufregende Urlaub zum wirklich gefährlichen Abenteuer. Die Sehenswürdigkeiten, die ich kurz zuvor noch besucht habe, liegen jetzt in Schutt und Asche. Der Flughafen bleibt gesperrt. Am Freitag soll ich zurück ins sichere Deutschland reisen. Vielleicht verlängert sich mein Aufenthalt jetzt. In dreißig Minuten kann es noch einmal beben. Für die nächsten 48 Stunden bleibt ganz Nepal ein seismisch stark aktives und somit gefährdetes Gebiet.


(Anmerkung der Redaktion) Mit ihrem Bericht will Alina die Aufmerksamkeit auf Nepal richten und zum Helfen und Spenden aufrufen – das kann man u.a. hier:

Update vom 30. April:

Gestern war Alina mit einigen anderen Helfer in dem Dorf Daare Chwok, wo sie Reis, Kartoffeln und Zelte verteilt haben.

Hier ihr Bericht: "Das reicht noch lange nicht, deshalb brauchen wir, die wir hier vor Ort sind, ganz viel Unterstützung, um weiter was zu tun! Die Dörfer in den Bergen erhalten keine Unterstützung von der Regierung, auch wenn die Schäden verheerend sind. Heute haben wir viele völlig zerstörte Häuser gesehen, Menschen in Lumpen, aber mit großem Hunger. Unter anderem auch Kinder, die durch das Beben ihr Zuhause verloren haben. Wir wollen etwas erreichen und brauchen deshalb Hilfe von den Lieben daheim. Alles kommt direkt bei den betroffenen Menschen an! Helft, was die Börse her gibt!"

‪‎Spendenkonto: DIREKTHILFE FÜR NEPAL, Kreissparkasse Schwalm-Eder, IBAN: DE41520521540233002245, BIC: HELADEF1MEG

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