Wohin gehöre ich?
Zwei Jahre sind vergangen, seitdem Margarita Kinstner mit ihrem Debütroman "Mittelstadtrauschen" frischen Wind in die Literaturwelt pustete. Vielmehr orkanartig durch sie hindurch fegte. Denn ihr erster Roman explodierte vor Tempo, Wortgewalt und Intensität. Dagegen stimmt sie in ihrem neuen Roman "Die Schmetterlingsfängerin" ruhigere Töne an. Die Übereiltheit ist weg, dafür stehen wir in einem erfrischenden Wohlfühlschauer der (Kindheits-)Erinnerungen. Sprachgewaltige Sätze voller Schönheit springen einem aus dem Roman entgegen, die so bezaubernd sind, dass man Innehalten muss, um sie auf sich wirken zu lassen.
Das Glück, das Katja Köhler hat, sieht sie selbst zunächst nicht. Sie ist auf der Suche. Auf der Suche nach dem Ich-bin-angekommen-Gefühl, das viele Menschen umtreibt. Aber es ist kein Wunder, dass sie sich orientierungslos fühlt: Katja ist schwanger und plant, in ein paar Wochen von Wien zu ihrem Freund Danijel nach Sarajevo zu ziehen. Die Entscheidung dazu wurde ihr kurzerhand abgenommen, als Danijel eine Stelle in einem Bosnischen Krankenhaus annahm. Nun ist sie unsicher, ob sie das wirklich will. Denn das hieße, in eine Stadt zu gehen, die voller Ambivalenzen steckt. "Sarajevo, die schönste Stadt der Welt, die dich nächtens liebt und morgens umarmt, nur zur Mittagszeit, wenn die Sonne erbarmungslos alles in ihr helles Licht taucht und das Hämmern und Kreischen seinen Höhepunkt erreicht, siehst du ihre Tränen die Mauern hinablaufen."
Besorgte Stimmen prasseln auf Katja ein – vor allem die von ihrer Mutter Magda. Da gibt die junge Lehrerin einem inneren Drang nach, ins Lusniztal zu fahren. Dorthin, wo sie bei ihrer Großmutter wohlbehütet aufgewachsen ist. Die Reise ist für Katja nicht nur eine Reminiszenz an ihre Kindheit, sondern auch eine Fahrt voller Erstaunen hinein in die Geschichte ihrer Familie. Mit Auswirkungen bis in die Gegenwart …
Ganz nah dran
Wenn wir in die Köhlersche Familiengeschichte eintauchen, dann geht es vordergründig um Heimat, Liebe und Abschiede, Kommen, Gehen, Bleiben. Schon früh ist Katja jedoch klar: "Wenn ich einmal auf dem Sterbebett liege, möchte ich sagen können: Ich war mutig genug, meiner Liebe zu folgen. Auf keinen Fall möchte ich wie Oma sagen müssen: Das Einzige, was ich bereue ist, damals so feig gewesen zu sein." Manchmal muss man seine Wurzeln kennen, um die eigene Zukunft klar zu sehen. Den Wagemut für eine Entscheidung muss Katja allerdings erst noch finden. Als Tochter einer sehr jungen Mutter und eines exzentrischen 68er-Künstlervaters fällt ihr das nicht so leicht, stand sie doch immer im Schatten der beiden starken Persönlichkeiten.
Diese Konflikte entspinnen sich vor der Dichotomie des beschaulichen Haizendorfs und der bedrohlichen Lebenswelt in Bosnien. Die Atmosphäre in Bosnien einzufangen, ist Margarita Kinstner in wenigen Passagen hervorragend gelungen. Die österreichische Autorin bringt uns ganz nah dran an die Lebenswirklichkeit der Bosnier und weckt damit unser Bedürfnis nach Geborgenheit und Heimatgefühl. Aber wie finde ich das? Die Antwort, die Katja findet, ist so schlicht wie wahr: Dort, wo dein Herz ist, bist du Zuhause. Eines können wir also durch den wunderbaren Roman in jedem Fall lernen: Im Leben nichts bereuen zu wollen und dabei seinem Herzen zu folgen, das sollten wir uns öfter auf die Fahne schreiben.
Die Infos zum Buch
Die Schmetterlingsfängerin
Margarita Kinstner
Deuticke Verlag, August 2015
Preis: 19,90 €
Online bestellen (Amazon): Die Schmetterlingsfängerin
Deine Meinung: