Lernen im Schlaf – So funktioniert es wirklich!
Nur wer ausreichend schläft, kann das Gelernte auch behalten | Foto: Vasyl Dolmatov/Thinkstock
Neue Reize aufnehmen, alte Reize verarbeiten
Im Laufe des Tages ist unser Gehirn unglaublich vielen Reizen ausgesetzt. Es sieht Neues, liest Neues, hört Neues und bekommt neue Fähigkeiten anhand unserer motorischen Fertigkeiten vermittelt. Dies ist ein fortlaufender Prozess. Jede Millisekunde erhält das Gehirn neue Informationen und muss diese verarbeiten.
Hast du dich schon einmal gefragt, wann das Gehirn all diese Reize verarbeitet? Während wir schlafen! Der Schlaf ist für unseren Körper und unser Gehirn mit der Zeit ein stetig wiederkehrender Prozess ohne viel Neues von außen. Wenn du nun zwischen sechs und zehn Stunden in deinem Bett liegst, kann das Gehirn das tun, was es schon den ganzen Tag über tun wollte: Alle Informationen des Tages aus dem Zwischenspeicher lösen und sortieren. Dazu werden Verbindungen zwischen unseren Nervenzellen entweder gelöst ("Das war unwichtig") oder gefestigt ("Das habe ich jetzt schon öfter gelesen, das ist wichtig") und gehen in das Gedächtnis über.
Dies geschieht in zwei Schritten:
Schritt 1: Waschen des Hippocampus
Der Hippocampus ist eine Region in deinem Gehirn, genauer gesagt befindet er sich im Großhirn. Die Aufgabe des Hippocampus ist es, Informationen des Tages zwischenzuspeichern. Dabei kümmert sich der Hippocampus vor allem um faktenbezogene Informationen – für Schüler ist das von besonderem Interesse.
Der Hippocampus hat nur eine bestimmte Kapazität und kann nicht grenzenlos Informationen aufnehmen. Deshalb entleert er sich in der Nacht. Schlafforscher sprechen oft davon, dass sich das Gehirn wäscht. Würde es das nicht tun, wäre es schon nach kürzester Zeit überfordert und könnte keine neuen Informationen mehr aufnehmen und langfristig verarbeiten. Dieser Vorgang findet im Schlaf statt, genauer gesagt in den Leichtschlafphasen. Diese Schlafphase findet vor allem zu Beginn und am Ende des Schlafes statt, wenn sich der Traumschlaf und der Leichtschlaf abwechseln.
Das funktioniert aber nur ausreichendem Schlaf – denn nur dann kann der Hippocampus sich vollständig leeren, damit du am nächsten Tag viele neue Informationen aufnehmen kannst. Schläfst du also oft zu wenig, stehst du morgens nicht mit den optimalen Voraussetzungen auf, Neues aufzunehmen. Was passiert also, wenn sich der Hippocampus nicht vollständig leeren kann? Nun, dann kannst du entweder nicht mehr so viel Neues am Tag aufnehmen oder die noch im Hippocampus verfügbaren Informationen werden überschrieben. Klingt nicht so gut, oder?
Schritt 2: Übertrag vom Hippocampus in den Neocortex
Hast du den Hippocampus am Tag über mit Informationen gefüllt und den Waschvorgang in der Nacht gestartet, geht dieses Wissen natürlich nicht verloren. Du möchtest ja, dass es in das Gedächtnis übergeht und in den kommenden Tagen, Wochen und Jahren auf Wunsch abrufbar ist. Dazu wandert das faktenbezogene Wissen aus dem Hippocampus in der Nacht in den Neocortex. Auch dieser Prozess findet in den Leichtschlafphasen statt. Der Neocortex befindet sich ebenfalls in der Großrinde deines Gehirns.
Hinter dem Spruch "Ich lerne im Schlaf" ist also sehr viel Wahres dran. Wissenschaftler gehen sogar so weit und sagen, dass ohne Schlaf gar kein Lernen möglich sei, einfach weil dieser Prozess der Übertragung in das Gedächtnis am Tage nicht stattfindet.
Fazit: Ausreichend Schlaf ist nicht nur nötig, um das am Tag Gelernte zu speichern, sondern vor allem um am nächsten Tag in der Lage zu sein, Neues aufzunehmen. Schlaf bereitet das Gedächtnis damit auf das Lernen vor.
Im Schlaf lernen: Von Vokabeln bis Autofahren
Nicht nur das Lernen und Abrufen von Vokabeln profitieren von einem ausreichenden und erholsamen Schlaf. Du lernst im Schlaf mehr als reines Faktenwissen. Auch motorische Fähigkeiten verbessern sich über Nacht. Dazu gehören das Lernen eines Instruments, einer neuen Sportart, aber auch Fahrrad- und Autofahren.
Alles, was für unser Gehirn neu ist, wird besser verarbeitet, wenn wir anschließend ausreichend schlafen. Das ist keine vage These, die von Eltern genutzt wird, um ihre Kinder zu mehr Schlaf zu animieren. Viele spannende Studien haben sich mit dem Thema auseinandergesetzt, deren Ergebnisse nun vor allem in der Medizin und im Sport von hoher Bedeutung sind.
Wer schläft, verbessert seine Fähigkeiten
Du übst am Abend ein schwieriges Musikstück auf deinem Instrument und es klappt partout nicht. Etwas frustriert gehst du schlafen und probiert es am nächsten Morgen erneut: Du kannst die schwierige Stelle des Musikstücks nun spielen. Was ist über Nacht passiert? Genau dieses Beispiel war Anlass und Gegenstand zentraler Forschungsarbeiten des Schlafforschers Matthew Walker rund um die Weiterentwicklung motorischer Fähigkeiten, wenn wir schlafen. Dabei haben die Forscher unter anderem zwei Gruppen von Probanden eine bestimmte Tonfolge am Piano üben lassen.
Gruppe Nr. 1 übte am Morgen und wurde am Abend erneut getestet. Damit wurde geschaut, ob das Gehirn nicht doch schon am Tag die motorischen Fähigkeiten verbesserte. Gruppe Nr. 2 übte am Abend und durfte anschließend eine Nacht mit 8 Stunden Schlaf genießen. Ein erneuter Test der Tonfolge am Piano folgte dann am Morgen. Insgesamt hatten beide Gruppen zwischen den Tests eine Pause von etwa 12 Stunden, mit dem Unterschied, dass Gruppe Nr. 1 währenddessen wach geblieben ist und Gruppe Nr. 2 acht Stunden schlafen durfte.
Das Ergebnis: Gruppe Nr. 2 konnte die Tonfolge am Morgen um 20 Pozent schneller und um 35 Prozent genauer spielen. Bei Gruppe Nr. 1 zeigte sich am Abend keine nennenswerte Verbesserung.
Schlauer werden, ohne etwas zu tun
Unser Körper ist damit zu etwas Magischem in der Lage: Er verbessert deine Fähigkeiten, ohne dass du dafür etwas tun musst. Weitere spannende Studien bestätigten diese Ergebnisse. Ausreichend Schlaf führt zu einer wesentlichen Verbesserung der am Tag geübten Fähigkeiten. Dabei spielen erneut die Leichtschlafphase eine entscheidende Rolle. In den letzten zwei Stunden eines Acht-Stunden-Schlafs wechseln sich Leichtschlaf und Traumschlaf ab.
Verkürzt du deinen Schlaf also regelmäßig, nimmst du dir für deine motorische Weiterentwicklung wertvolle Zeit, dein Training ist weniger wirkungsvoll. Der Spruch "If you don't snooze, you lose" ("Wenn du nicht schläfst, verlierst du"), stimmt und gilt nicht nur für Profisportler. Jede Fertigkeit, die du dir aneignest und mit Bewegung zu tun hat, braucht ausreichend Training und ausreichend Schlaf. Merke also: Ausreichend Schlaf perfektioniert dein Training und du erzielst schneller Erfolge.
Der Prozess des Lernens ist übrigens der Hauptgrund, warum Babys so viel mehr schlafen als Schüler. Für Babys ist quasi der ganze Tagesablauf neu. Kein Wunder also, dass sie zu Beginn ihres Lebens bis zu 19 Stunden am Tag schlafen (müssen). Hinzu kommt, dass bei Babys nicht nur das Gehirn im Schlaf sehr aktiv ist. Sie wachsen darüber hinaus im Schlaf in den ersten Jahren besonders viel.
All dies fällt bei dir als Schüler weg. Du wächst sehr wahrscheinlich nicht mehr viel und auch dein Gehirn muss sich in der Nacht mit weniger neuen Reizen auseinandersetzen als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Deine Tagesabläufe ähneln sich, dein Gehirn weiß mittlerweile, was es bedeutet, sich die Zähne zu putzen, deine Umgebung ist vertraut, du kannst sprechen, etc. Lernen ist die wohl wichtigste Aufgabe des Schlafens. Nur Lernen in Verbindung mit ausreichendem Schlaf bedeutet erfolgreiches Lernen.
Über die Schlafonauten
Fabian (25) und Joe (26) studieren an der Universität Siegen Wirtschaftsrecht und Wirtschaftsingenieurwesen. Seit Oktober 2017 bringen sie als Schlafonaut Anderen das Thema Schlaf näher. Dabei schreiben sie Blogartikel, in denen sie den Schlaf erklären, Produkte testen und Tipps zur Schlafverbesserung geben. Ihr Wissen haben sie vor allem aus Studien, Büchern, Gesprächen mit Experten und eigenen Erfahrungen.
Wer lieber Videos schauen möchte: Die beiden sind auch mit ihrem Kanal Schlafnaut auf YouTube vertreten
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