Nach dem Abi Freunde bleiben: So kann es klappen
Die Zeit nach dem Abi stellt Freundschaften auf eine harte Probe | Foto: Thinkstock/badmanproduction
Euphorie vs. Ernüchterung
Für Freundschaften ist die Abi-Zeit ein nährreicher Boden: Gemeinsam büffeln, über Lehrer lästern, in akute Klausuren-Panik verfallen, Motto-Woche, Abiball, das volle Programm. So viele Erlebnisse in so kurzer Zeit, das schweißt zusammen. Ebbt das "Ich-muss-nie-wieder-zur-Schule-wie-geil-ist-das-denn?"-Hochgefühl langsam ab, trifft einen die Realität direkt in die Magengrube – denn mit einem Mal fliegen sie alle wie die Motten in das Licht, geblendet von Abenteuerlust und der Aufgeregtheit auf den neuen Lebensabschnitt.
Nur, dass plötzlich alle von einem anderen Licht angezogen werden und unterschiedliche Ziele verfolgen. "Das ist die Nagelprobe für eine Freundschaft", weiß Freundschafts-Experte Martin Hecht. "Wenn die Beziehung nicht so stark ist, wird sie das nicht überleben."
Ist meine Freundschaft stark genug?
Aber woher weiß ich denn, wie stark meine Freundschaft ist? Kann man das irgendwie messen? – Anzahl gemeinsamer Lachanfälle, Pups-Häufigkeit in Gegenwart des anderen, Länge der im angetrunkenen Zustand verfassten Whats-App-Nachrichten? Oder, in Ermangelung eines geeigneten Erfassungssystems für die vorgeschlagenen Parameter, kann die Dauer der Freundschaft etwas über ihre Standfestigkeit aussagen?
Der Experte meint: "Nein. Sandkastenfreundschaften haben zwar ein paar Vorteile, weil man weiß, was man am anderen hat. Eine gemeinsame Vergangenheit schafft ein starkes Band und kann die Lebensdauer von Freundschaften verlängern. Entscheidend ist aber vielmehr die Intensität der Freundschaft, was einen jetzt im Moment miteinander verbindet. Da spielt die Dauer nicht zwingend eine Rolle."
Schöne neue Welt
Es gibt ja so Freunde, die rasten in Sachen Entfernung vollkommen aus. Da reicht es nicht, 20 km von Waltrop nach Dortmund zu ziehen, die wollen in die große weite Welt – und ehe du dich versiehst, stehst du da in Waltrop, im Regen, während die beste Freundin 15.000 km Luftlinie entfernt in Australien auf der perfekten Welle reitet. Aber ob 10 km oder 10.000, ist für eine gute Freundschaft nicht entscheidend, sagt Hecht: "Nur wenn einer auf dem Mond lebt, wird es ein bisschen schwierig, denn: Aneinander zu denken reicht nicht aus. Wahre Freundschaft passiert Face-to-Face."
Ein Auslandsaufenthalt kann sogar ein richtiger Freundschafts-Boost sein: "Dass einer von beiden weit weg von der Heimat ist, muss nicht bedeuten, dass eine Beziehung auseinander geht. Vielmehr bereichert es die Freundschaft, wenn der eine dem anderen die neue Welt zeigt, die er sich in der Ferne erkundet hat." Also fang nicht direkt an zu heulen, wenn die beste Freundin beschließt, nach Australien zu gehen, sondern pack verdammt nochmal deine Koffer und denk: Geil! Sonne, Strand, Barbecue – Das wird der Sommer unseres Lebens.
Facebook, dein Freund und Helfer
Der Klassiker: Du wirst mich schon nicht vergessen, ich werde ja regelmäßig auf Facebook posten. Und ein paar Wochen später erscheint die beste Freundin dann tatsächlich im Newsfeed, fröhlich strahlend am Bondi Beach, und bestimmt gibst du ihr ein "Gefällt mir" und vielleicht kommentierst du "Vermisse dich <3" – oder, wenn es wirklich eine ganz besonders gute Freundin ist: "Ich hasse dich. Will auch am Strand sein. In Waltrop regnet´s." Aber so schön es auch ist, beim Scrollen regelmäßig von den Freunden aus der Ferne angestrahlt zu werden, können Soziale Medien zur echten Gefahr für den Erhalt der Freundschaft werden.
Denn warum sollte man sich melden, wenn man ja sowieso schon alles vom anderen weiß? Wo er wann, mit wem welchen Cocktail getrunken hat, wie das Mittagessen geschmeckt hat, wie der neue Schwarm aussieht? Deshalb sollte man sich nicht zu sehr auf Facebook als Kommunikationsmittel verlassen, rät auch Freundschafts-Experte Hecht: "Wissenschaftliche Untersuchungen bestätigen, dass soziale Medien nicht Ersatz, sondern vielmehr eine Ergänzung für echte Freundschaften geworden sind. Sie sind eine Organisationshilfe, aber richtige Freunde brauchen kein Facebook."
Tipp
Wenn es mal etwas mehr als der unpersönliche Facebook-Post sein soll:
Richte dir doch mit deinem besten Freund/deiner besten Freundin einen Dropbox-Ordner ein, in den ihr nicht nur die Vorzeige-Facebook-Fotos hochladen könnt, sondern auch die extrem peinlichen Partyfotos. Oder sei mal wieder richtig oldschool: Verschicke dein Lieblingsbild als Postkarte oder kauf dir hübsches Briefpapier und versende einmal im Monat einen ganz persönlichen Gruß an deine Liebsten. Denn es gibt doch nichts Schöneres, als neben Werbung und Rechnungen eine handgeschriebene Botschaft aus dem Briefkasten zu fischen.
Freunde fürs Leben
Damals im Baumhaus hast du deine beste Freundin an die Hand genommen und ihr in einer geheimen Zeremonie geschworen, dass ihr für immer, immer, immer Freundinnen sein werdet. Zur Feier des Tages habt ihr mit einem Wassereis angestoßen und euch darüber gefreut, wie gern ihr euch habt. Jetzt, wo sie weg ist, fragst du dich: Wie oft muss ich denn nun Fotos liken, Briefe schreiben und mich in den Flieger setzen, um mein Indianer-Ehrenwort zu halten? "Es gibt da kein Patentrezept", sagt Hecht. Und fügt hinzu: "Es ist klar, dass man ab und zu mal den Hintern hoch kriegen und initiativ werden muss. Dabei ist es nicht so wichtig, wie oft man sich trifft, die Qualität ist das Entscheidende."
Wenn man sich nur selten sieht, ist es also umso wichtiger, die gemeinsame Zeit sinnvoll zu nutzen, deshalb empfiehlt der Experte: "Man sollte nicht immer nur in der gleichen Eckkneipe hocken, sondern gemeinsame Aktivitäten finden, bei denen man die Freundschaft intensiv erlebt. Für den einen ist das ein Wandertrip am Wochenende, der andere macht eine Fahrradtour, der nächste unternimmt einen Städtetrip." Also: Ganz viele schöne Erinnerungen speichern, auf die man im Falle spontan eintretender Vermiss-Attacken zurückgreifen kann
Huhu, ist da noch wer?
"Aus den Augen, aus dem Sinn" – eine Phrase, die so unfassbar ausgelutscht scheint aber dennoch in der Lage ist, zu unterscheiden: Best friends for life oder doch nur gute Bekannte? "Dieser Satz sagt auf jeden Fall viel über die Qualität einer Freundschaft aus. Das ist so ein Spruch, den meistens frustriete Menschen den Leuten an den Kopf schmeißen, wenn sie sich nicht mehr melden", spottet Hecht. Frustriert, ja, aber vielleicht auch verzweifelt, enttäuscht, im Stich gelassen. Besonders wenn einer im Heimatort bleibt, während der andere in einer fremden Stadt jeden Tag neue Dinge erlebt, ist die Gefahr groß, in Vergessenheit zu geraten.
Wenn die Lebenszeichen weniger werden oder irgendwann sogar ganz ausbleiben, muss man das akzeptieren, so der Freundschafts-Experte: "Ich warne davor, zu sagen, man könne an Freundschaften arbeiten. Natürlich sollte man Konflikte ansprechen, aber wenn einer partout nicht mehr will, dann muss man die Freundschaft auch enden lassen. Wie in einer Liebesbeziehung geht es auch in der Freundschaft um Gefühl, und das kann man nun mal nicht erzwingen." Wichtig ist vor allem, sich nicht ausbremsen zu lassen, indem man sich zu stark an alte Beziehungen klammert.
"Das kann verhindern, dass man neue Erfahrungen macht. Es lohnt sich immer, neugierig zu sein und neue Bekanntschaften zu machen. Am besten ist es natürlich, eine Balance zu finden: Alte Freundschaften bewahren und sich trotzdem auf neue Freunde einlassen. Eigentlich kann ja kein alter Freund sauer sein, wenn man jemand Neues in den Freundeskreis mit reinbringt."
Veränderung als Chance
Es wäre romantisch und naiv zu glauben, dass man Freundschaften nach dem Abitur genauso erhalten kann, wie sie während der Schulzeit waren. Vielleicht gibt es das, aber ganz bestimmt ist es eher die Ausnahme als die Regel. Das muss aber nicht heißen, dass Freundschaften verloren gehen, sie werden nur anders. Weil die Freunde anders werden, sich weiter entwickeln und zu Freunden von anderen Menschen werden, die sie verändern – ganz wertfrei.
Und trotzdem wird es diese Momente geben, in denen du mit deinen alten Freunden zusammen sitzt, die du im schlimmsten Fall ein ganzes Jahr lang nicht gesehen hast. Und dann wirst du merken: Irgendwie ist es nicht ganz wie früher, aber es ist schön, so wie es ist. Wichtig ist, dass du dich auf die neue Situation einlässt und dich von dem Gedanken löst, dass eine Freundschaft nur dann perfekt ist, wenn man sich jeden Tag sieht. Das weiß auch der Experte: "Wenn die Gewohnheit wegfällt, kann man klarer sehen, wer ein wirklich guter Freund ist und was man an ihm hat. Man sollte nicht krampfhaft nach Wegen suchen, Freundschaften aufrecht zu erhalten. Wenn man den Bruch nach dem Abitur als Chance sieht, trifft man die alten Freunde nach langer Zeit mit einem viel größeren Gefühl und einer größeren Freude, das ist ein ganz besonderes Erlebnis."
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