Binge-Watching: "Nur noch diese eine Folge!"

Anna Feininger - 15.06.2016

Binge-Watching

Verdammte Cliffhanger! | Foto: Thinkstock/Katarzyna Bialasiewicz

Zwischen zwei Folgen

Dieser Artikel hat in den 15 Sekunden zwischen zwei Folgen begonnen. Seitdem gab es viele 15 Sekunden, in denen ich eine aktive Entscheidung hätte treffen sollen. Warum habe ich mich immer wieder dagegen entschieden, fleißig zu werden? Bin ich die Einzige, die den Absprung nicht schafft? Die Antwort darauf scheint nicht klar zu sein. Das, was ich – und vermutlich wir alle – da tun, nennt sich Binge-Watching. Gemeint ist ein übermäßiger Konsum von Serien und Filmen. Wo sind die Grenzen und ab wann habe ich ein Problem?

Was ist Binge-Watching?

Binge-Watching wird von urbandictionary.com definiert als das marathonhafte Anschauen mehrerer Folgen einer Fernsehserie von einer DVD-Box. DVDs sind jedoch durch Video-Streaming-Dienste weitestgehend verdrängt worden, gerade deswegen ist Binge-Watching heute präsenter als noch vor einigen Jahren: "Aktuelle Forschungsbefunde belegen, dass das Phänomen des Binge-Watching in den letzten Jahren – also parallel zur gesteigerten Verfügbarkeit der Mediendienste – angestiegen ist", bestätigt die Psychologin Katharina Beier-Dönges aus Aachen.

Seit es Video-on-Demand-Plattformen gibt, ist Binge-Watching ein schnell wachsendes Phänomen. "Hast du Dexter gesehen? Ich hab’ die dritte Staffel letztes Wochenende 'durchgesuchtet' – es ist SO gut!" Solche Sätze hast du vielleicht selbst schon von dir gegeben oder kennst sie von deinen Freunden zu Genüge. Es gäbe zwar genug anderes zu tun, aber im Internet bieten sich jede Menge Möglichkeiten für Lernpausen oder entspannte Abende, die nur einen Klick von der meist klügeren Entscheidung, ins Bett zu gehen, entfernt sind. Ob YouTube, Netflix oder Amazon Prime: Sich eine Pause zu gönnen, schadet doch niemandem – richtig?

Selbstbetrug: "Nur noch eine Folge"

Auf diese Frage gibt es zwei Antworten. Beide verlaufen in entgegengesetzte Richtungen. Fangen wir mit der positiven Antwort an, die wir uns selbst immer und immer wieder geben: Jeder von uns kennt Phasen, in denen man sich nicht richtig gehen lassen kann. Der Kopf will keine Ruhe geben und die nächste Prüfung drängt. Warum sollte man sich dann keine Auszeit gönnen? Nur eine Folge. Die ist doch immer drin. Ein Film dauert zu lang. Aber eine Episode?

Die Kehrseite: Drei Stunden später erwischen wir uns, wie wir auf die Uhr schauen und sowohl erschreckt als auch erleichtert feststellen müssen, dass es eigentlich auch schon zu spät ist, um jetzt noch wirklich produktiv zu werden. Der Studienberater und Diplom-Psychologe Volker Koscielny aus Münster kennt das zu gut: Binge-Watching ist "meistens Ausdruck der Problematik des Prokrastinierens, also von Studienproblemen, die aus dem ständigen Aufschieben von lästigen Pflichten entstehen."

Aus Entspannung wird Stress

So angenehm es zwar sein kann, sich für einige Stunden aus seinem Leben zurückzuziehen und jemand anderem dabei zuzusehen, wie er das seine bewältigt, so schnell kann sich Binge-Watching auch umgekehrt auswirken. Fast verpasste Deadlines, unnötiger Stress oder eine unendlich lange To-Do-Liste sind Dinge, die vermutlich alle kennen, die mal wieder dem Cliffhanger am Ende einer Episode auf den Leim gegangen sind. Wenn sich daraus aber ein Teufelskreis entwickelt, wird es allerhöchste Zeit, etwas zu verändern. Denn Binge-Watching kann im Extremfall zur Sucht werden und im Alltag plötzlich scheinbar nicht zu bewältigende Probleme hervorrufen.

Eine 2015 veröffentlichte Studie weist auf einen Zusammenhang zwischen mehrstündigem Videokonsum pro Tag und Einschlafproblemen sowie Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und depressiven Stimmungen hin. Diese physischen und psychischen Probleme würden selbst die hartnäckigsten Binge-Watcher vermutlich nicht auf den meist nächtlichen Serien- oder Filmkonsum zurückführen – und mal ehrlich: Wer von uns würde sie nicht direkt rigoros abstreiten?

Doch auch Psychologe Koscielny warnt: Aus Binge-Watching können sich "durchaus schwerwiegende psychische Probleme ergeben bis hin zu Depressionen. Beispielsweise können diese auch die Ursache von Aufschiebeverhalten und/oder sozialem Rückzug sein, bei dem dann schlechten Gefühlen mit der Flucht in z.B. Serien begegnet wird."

Das Henne-Ei-Prinzip

Die Studie klärt nicht eindeutig, ob Binge-Watching als Ursache für diese Beschwerden zu benennen ist, oder ob es das Resultat aus bereits bestehenden Problemen ist: "Besonders anfällig für 'Seriensucht' wären demnach Menschen, die auch zuvor schon andere Probleme haben wie Depressivität, Isolation oder soziale Ängste", sagt Koscielny weiter. Dass es allerdings nicht besonders gesund sein kann, stundenlang auf dem Sofa zu liegen, sich nur wenig zu bewegen und dabei Serien zu schauen, ist eigentlich jedem von uns klar.

Eine geregelte Struktur im Alltag sowie ein festes soziales Umfeld können als Schutzfaktoren gegen die Entwicklung einer Mediensucht fungieren. Wann wird es Zeit für die Notbremse? Spätestens, wenn sich "beispielsweise Freunde abwenden, wenn die Hobbys von früher kein Interesse mehr wecken und wenn berufliche/schulische Leistungen deutlich absinken", fasst die Psychologin Beier-Dönges zusammen.

Du steckst fest? 

"Betroffene sollten vor allem dann Beratungsstellen oder Therapeuten aufsuchen, wenn sie selber merken, dass sich ihre Lebensqualität reduziert hat, sie im Alltag nicht mehr zurechtkommen oder daran gar nicht mehr richtig teilnehmen können, sie selber sagen würden, eigentlich nicht (mehr) glücklich zu sein", empfiehlt die Psychologin weiter. Falls du also feststellst, dass du dich mit Situationen überfordert fühlst und dich lieber in eine Serienwelt flüchtest, kann es helfen, eine Beratungsstelle aufzusuchen.

So bieten zum Beispiel Universitäten und Studierendenwerke ihren Studierenden kostenfrei und vertraulich die Möglichkeit, mit zertifizierten Psychologen zu sprechen. Sie können dir helfen, das Problem zu erkennen und anzugehen. Auch wenn die Hürde, Hilfe in Anspruch zu nehmen, anfangs groß ist: Wir wissen alle, dass sich aufgeschobene Probleme nicht in Luft auflösen. Aus diesem Grund befinden wir uns schließlich überhaupt erst in dieser Bredouille. So lässt sich Netflix auch wieder entspannt, und vor allem ohne schlechtes Gewissen genießen.

Das haben mir die Gespräche mit den Experten nämlich auch gezeigt: Es spricht nichts dagegen, seine Serien zu schauen. Aber am besten bewusst und als Belohnung. In diesem Sinne schau ich jetzt noch eine Folge. Nur eine – versprochen.

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