Gegenwartsliteratur (ab 1990): Alles Wichtige über die Literatur von heute

Elena Weber - 08.05.2020

Gegenwartsliteratur

Gegenwartsliteratur ist ein Begriff für die Literatur von heute. | Foto: Nicole Wolf / Unsplash

Gegenwartsliteratur: die Literatur von heute

Barock, Sturm und Drang oder Naturalismus – über vergangene Epochen wird im Deutschunterricht viel geredet. Du lernst, in welchem zeitgeschichtlichen Kontext sie entstanden sind, wie die Menschen damals die Welt sahen und welche Merkmale für die jeweilige Epoche typisch sind. Doch was ist eigentlich mit der Literatur der Gegenwart? Auch für sie gibt es charakteristische Merkmale, über die du wahrscheinlich gar nicht nachdenkst, wenn du dich beim erneuten Lesen der Harry-Potter-Reihe nach Hogwarts träumst oder durch die Bibliothek deines Tablets scrollst.

In der Literaturwissenschaft wird die Literatur unserer Zeit unter dem Begriff der Gegenwartsliteratur zusammengefasst. Wir erklären dir, was die gegenwärtige Literatur ausmacht und was sie von früheren Literaturepochen unterscheidet.

"Das immerhin leistet die Literatur: Sie schaut nicht weg, sie vergisst nicht, sie bricht das Schweigen. " (Günter Grass, deutscher Schriftsteller)

Auf einen Blick: Gegenwartsliteratur

  • Zeitraum: Sammelbegriff für die Literatur seit 1990
  • Einordnung: keine eigene Literaturepoche
  • bedeutende Ereignisse: Fall der Mauer, Terroranschläge am 11. September 2001, Finanz- und Coronakrise
  • Merkmale: Behandlung aktueller Themen, vielfältig und experimentierfreudig
  • Literatur: keine bevorzugte Gattung
  • Vertreter /-innen: Günter Grass, Wolfgang Herrndorf

Definition: Das ist Gegenwartsliteratur

Die Gegenwartsliteratur bezeichnet keine Epoche, wie es beispielsweise Aufklärung, Realismus oder Expressionismus tun. Vielmehr ist die Bezeichnung "Gegenwartsliteratur" ein Sammelbegriff für die Literatur seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990. Wenn du für Deutsch im Abitur lernst und dir die Epochen genauer ansiehst, wirst du feststellen, dass nicht nur die Gegenwartsliteratur zu diesem Zeitpunkt beginnt, sondern auch die Postmoderne Literatur. Im Gegensatz zur Gegenwartsliteratur bezeichnet die Postmoderne eine eigene Literaturepoche, nämlich die aktuell jüngste der deutschen Literaturgeschichte. Die Gegenwartsliteratur hingegen ist eine Bezeichnung für die gegenwärtige Literatur.

Zeitgeschichtliche Einordnung

Was sich aus der Gegenwartsliteratur für ein Epochenbegriff entwickeln wird, wird sich erst in Jahren zeigen, denn Epochen werden immer erst nachträglich benannt. So war zum Beispiel den Menschen zur Zeit des Biedermeier (1815–1848) nicht bewusst, dass sie gerade im Biedermeier lebten und parallel dazu auch noch der Vormärz (1815–1848) und Junges Deutschland (1830–1835) verliefen. Die Gegenwartsliteratur kann somit zum jetzigen Zeitpunkt nicht als Literaturepoche gesehen werden. Dennoch lässt sich ihr Beginn mit einem bedeutenden Erignis festlegen.

Die Gegenwartsliteratur beginnt mit einem Ereignis, dass das Leben und die Gesellschaft Deutschlands grundlegend veränderte: der Fall der Mauer. Er führte zur Deutschen Wiedervereinigung und machte aus zwei getrennten Staaten wieder ein Land. Ein weiteres einschneidendes Ereignis in jüngerer Vergangenheit waren die Terroranschläge am 11. September 2001 in New York. Sie zeigten der Welt, wie verletzlich sie ist und führten zu einem neuen Krieg, dem Krieg gegen den Terror. Ebenfalls prägend war die Finanzkrise im Jahr 2009 und auch die Corona-Krise in diesem Jahr wird tiefe Spuren in unserem Denken und Handeln hinterlassen.

Darüber hinaus ist unsere Welt vor allem von Kapitalismus, Globalisierung und Digitalisierung geprägt. Aber auch die Flüchtlingskrise und der Klimawandel gehören zu den großen Themen und Herausforderungen der Gegenwart. 

Weitere Literaturepochen

Merkmale der Gegenwartsliteratur

Die Besonderheit zeitgenössischer Literatur ist, dass die Autoren und Autorinnen die gleichen Erfahrungen teilen wie ihre Leserschaft. Das galt natürlich für alle Epochen einmal, beispielsweise war auch die Literatur der Romantik einst, nämlich in der Zeit von 1795 bis 1835, Gegenwartsliteratur. Wenn du heute etwa ein Gedicht aus dieser Zeit liest, kannst du nachvollziehen, wie die Menschen damals gedacht haben, auch, weil du die historischen Zusammenhänge kennst. Du schaust dennoch rückblickend und aus der heutigen Perspektive auf diese Literatur. Gegenwartsliteratur ist noch nicht in einen epochalen Zusammenhang eingeordnet, sie passiert jetzt gerade. Deswegen werden vor allem aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse und Entwicklungen in der Gegenwartsliteratur verarbeitet. 

Themen der Gegenwartsliteratur sind unter anderem:

  • Fall der Mauer
  • Kapitalismus
  • Terrorismus
  • Globalisierung
  • Flüchtlingskrise
  • Klimawandel
  • Digitalisierung
  • Erinnerungen, Individualität und Gemeinschaft

Nicht nur inhaltlich hat die Digitalisierung Einfluss auf die Literatur: Durch die einfache Nutzung des Internets und die Mobilität durch Smartphones und E-Reader ist der Zugang zu Literatur fast jedem nahezu überall möglich. Literatur muss nicht mehr in gedruckter Buchform vorliegen. Inhalte können leichter veröffentlicht und verbreitet werden. Das macht die Gegenwartsliteratur sehr vielfältig. Diese Vielfalt erschwert es jedoch, konkrete Merkmale für die gegenwärtige Literatur festzulegen. Meist kannst du ein Werk lediglich anhand seines Entstehungs- oder Erscheinungsdatums der Gegenwartsliteratur zuordnen. Denn die Gegenwartsliteratur beschäftigt sich nicht ausschließlich mit aktuellen Themen. Auch historische Romane oder Erinnerungsliteratur sind Teil der Gegenwartsliteratur.  

Grundsätzlich gelten folgende Merkmale:

  • Behandlung aktueller Themen
  • Gleichzeitigkeit von Autoren- und Leserschaft
  • Erinnerungsliteratur
  • vielfältig und experimentierfreudig
  • großer Leserkreis durch Verbreitung in den digitalen Medien

Die Literatur der Gegenwart

Die Gegenwartsliteratur hat keine bevorzugte literarische Gattung. Mit Romanen, Kurzgeschichten, Gedichten, Sachbüchern oder Theaterstücken sind sämtliche literarische Formen vertreten. Darüber hinaus haben sich neue Schreibstile und Publikationsformen entwickelt, etwa die Netzliteratur, zu der beispielsweise das Bloggen gehört. Damit einhergehend hat sich auch das Verständnis von einem Autor oder einer Autorin verändert. Galt Schreiben früher als ausschließlich angeborenes Talent, gilt es heute als erlernbar. So kannst du kreatives Schreiben mittlerweile sogar studieren. Außerdem sind viele Autoren und Autorinnen Quereinsteiger /-innen, die ursprünglich einem anderen Beruf nachgegangen sind oder es neben dem Schreiben immer noch tun. Denk etwa an J.K. Rowling, die ihre Harry-Potter-Romane schrieb, während sie arbeitslos war.

Wichtige Autoren /-innen

  • Günter Grass (1927–2015), z.B. "Im Krebsgang" (2002)
  • Wolfgang Herrndorf (1956–2013), z. B. "Tschick" (2010)
  • John Boyne (geb. 1971), z.B. "Der Junge im gestreiften Pyjama" (2006)

Erinnerungsliteratur

Typisch für die Literatur der Gegenwart ist die sogenannte Erinnerungsliteratur. In ihr beschäftigt sich der Autor oder die Autorin mit der Vergangenheit seines oder ihres Landes und beschreibt das damalige Leben der Menschen. Oft geht es dabei um die eigene Identitäts- und Sinnsuche, die mit der Verarbeitung der Erfahrungen der Eltern- oder Großelterngeneration verbunden wird. Eine zentrale Rolle spielen dabei vor allem das Dritte Reich und die Nachkriegszeit.

Popliteratur

Die Popliteratur entwickelte sich in den 1990er Jahren und beschreibt das Leben junger Menschen zwischen Anfang bis Mitte 20, die auf der Suche nach dem Sinn viel reisen, feiern, trinken, Drogen nehmen oder im Internet unterwegs sind. Popliteratur bildet den Zeitgeist ab, indem prominente Personen wie Politiker /-innen oder Fernsehstars tatsächlich existieren und zur Entstehungszeit der Texte besonders angesagt waren. Typisch ist außerdem der lockere, umgangssprachliche Stil. Beispiele für Popliteratur sind "Faserland" von Christian Kracht oder "Solo-Album" von Benjamin von Stuckrad-Barre.

Kinder- und Jugendliteratur

Einen großen Einfluss hat auch die gegenwärtige Kinder- und Jugendliteratur. Bekannte Beispiele sind neben "Harry Potter" auch "Die Tribute von Panem" von Suzanne Collins, "Die Welle" von Morton Rhue, Ottfried Preußlers "Krabat" oder "Tschick" von Wolfgang Herrndorf.

Insgesamt erfüllt die Gegenwartsliteratur zwei Zwecke: Unterhaltung und Bildung. Aus diesem Grund erscheint sie gespalten in die "anspruchsvolle" Literatur, also jener, die mit Literaturpreisen ausgezeichnet wird, und der Unterhaltungsliteratur, also jener Literatur, die sich gut verkaufen lässt. Neben beliebten Genres wie Krimis oder Thriller sind aktuell vor allem Vampirromane wie "Twilight" oder erotische Frauenromane wie "Fifty Shades of Grey" populäre Trends dieser Unterhaltungsliteratur.

 

FAQ: Häufige Fragen zur Gegenwartsliteratur

Wann beginnt die Gegenwartsliteratur?

Meist wird die deutsche Wiedervereinigung im Jahr 1990 als Beginn der Gegenwartsliteratur festgelegt.

Was folgt auf die Postmoderne?

Die Postmoderne ist die derzeit aktuellste Epoche der Literaturgeschichte. Auf sie folgt ab 1990 die Gegenwartsliteratur. Diese bezeichnet allerdings nur die gegenwärtige Literatur und keine eigene Epoche.

Welche literarische Epoche haben wir jetzt?

Für die Zeit, in der wir aktuell leben, gibt es noch keinen Epochenbegriff. Epochen werden immer erst im Nachhinein eingeteilt und erhalten auch dann erst ihre Bezeichnung. Aus diesem Grund wird die gegenwärtige Literatur unter dem Sammelbegriff "Gegenwartsliteratur" zusammengefasst.

Gegenwartsliteratur im Überblick:

  • Die Gegenwartsliteratur ist keine Literaturepoche, sondern ein Sammelbegriff für die gegenwärtige Literatur.
  • Sie setzt sich unter anderem mit aktuellen Themen auseinander.
  • Erinnerungsliteratur, Popliteratur und Jugendliteratur sind typische Strömungen der gegenwärtigen Literatur.
  • Gegenwartsliteratur will unterhalten und bilden.
  • Stile und Formen sind sehr vielfältig.

Tipp

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